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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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ich schwöre dir, das dauerte nur einen Augenblick, nur so
lange, als ich noch nicht nachgedacht hatte. Sobald ich nachgedacht
habe, handle und rede ich immer verständiger; ich denke, es wird dir
ebenso gehen. In Wirklichkeit aber könnte ich mich über die Genesung
meines eigenen Sohnes, wenn ich einen hätte, kaum so freuen wie über
die deinige; und wenn du es mir nicht glaubst, so ist das eine Schande
für dich, nicht für mich. Dieser unartige Junge aber erlaubt sich mit
mir ganz ungehörige Späße. Du bist ja wohl sein Gönner; darum möchte
ich dir ankündigen, daß ich eines schönen Tages auf die Ehre und das
Vergnügen seiner weiteren Bekanntschaft verzichten werde; das kannst du
mir glauben.«
    »Was trifft mich denn für Schuld?« rief Kolja. »Wenn ich Ihnen auch
hoch und heilig beteuert hätte, daß der Fürst schon beinah gesund sei,
so hätten Sie mir doch nicht glauben mögen, weil es viel interessanter
war, ihn sich auf dem Sterbebett vorzustellen.«
    »Bleibst du lange hier bei uns in Pawlowsk?« wandte sich Lisaweta Prokofjewna an den Fürsten.
    »Den ganzen Sommer über und vielleicht noch länger.«
    »Du bist allein hier. Bist du denn nicht verheiratet?«
    »Nein, ich bin nicht verheiratet«, erwiderte der Fürst, der über die
Naivität dieser gegen ihn gerichteten Stichelei lächeln mußte.
    »Zum Lächeln ist kein Anlaß; so etwas kommt doch vor. Ich sagte es
aber wegen des Landhauses; warum bist du denn nicht zu uns gezogen? Wir
haben ein ganzes Nebengebäude leerstehen. Übrigens, ganz wie du willst.
Wohnst du denn hier als Untermieter? Bei dem hier?« fügte sie halblaut
hinzu, indem sie mit einer Kopfbewegung auf Lebedjew hindeutete. »Warum
schneidet er denn fortwährend Gesichter?«
    In diesem Augenblick kam Wjera, wie gewöhnlich mit dem Kind auf dem Arm, aus dem Innern des Hauses auf die Veranda.
    Lebedjew, der sich bei den Stühlen umherwand und schlechterdings
nicht wußte, wo er bleiben sollte, aber durchaus nicht weggehen wollte,
stürzte plötzlich auf Wjera los und wollte sie mit heftigen
Armbewegungen aus der Veranda hinausjagen; er vergaß sich sogar so
weit, daß er mit den Füßen trampelte.
    »Ist er verrückt?« fügte die Generalin hinzu.
    »Nein, er ...«
    »Vielleicht ist er betrunken? Deine Gesellschaft hier ist nicht
schön«, sagte sie in entschiedenem Ton, indem sie auch die übrigen
Gäste mit ihrem Blick umfaßte. »Ah, aber was für ein liebliches
Mädchen! Wer ist das?«
    »Das ist Wjera Lukjanowna, eine Tochter dieses Herrn Lebedjew.«
    »Ah ...! Ein sehr liebliches Mädchen. Ich möchte ihre Bekanntschaft machen.«
    Lebedjew aber, der Lisaweta Prokofjewnas lobendes Urteil gehört
hatte, zog bereits selbst seine Tochter herbei, um sie vorzustellen.
    »Meine Kinder sind mutterlos, mutterlos!« jammerte er, während er
herankam. »Auch dieses Kind, das sie auf dem Arm hat, ist mutterlos; es
ist ihre Schwester, meine Tochter Ljubow, in rechtmäßiger Ehe von
meiner unlängst verstorbenen Frau Jelena geboren, die vor sechs Wochen
nach Gottes Willen im Wochenbett gestorben ist ... ja ... Sie vertritt
an ihr Mutterstelle, obgleich sie nur ihre Schwester ist, nichts weiter
als ihre Schwester ... nichts weiter, nichts weiter ...«
    »Und du, lieber Freund, bist nichts weiter als ein Dummkopf, nimm
mir's nicht übel. Na, nun genug; jetzt wirst du es wohl selbst wissen,
denke ich«, bemerkte Lisaweta Prokofjewna sehr ungehalten.
    »Vollkommen richtig!« erwiderte Lebedjew sehr respektvoll mit einer tiefen Verbeugung.
    »Hören Sie mal, Herr Lebedjew, ist das wahr, was man von Ihnen sagt: Sie legen die Offenbarung des Johannes aus?« fragte Aglaja.
    »Vollkommen wahr! Ich beschäftige mich damit seit fünfzehn Jahren.«
    »Ich habe von Ihnen gehört. Es hat ja wohl auch in der Zeitung etwas über Sie gestanden?«
    »Nein, das bezog sich auf einen andern Erklärer, auf einen andern;
der ist gestorben, und ich bin jetzt sein Nachfolger«, versetzte
Lebedjew, ganz außer sich vor Freude.
    »Tun Sie mir den Gefallen und erklären Sie sie mir einmal in diesen
Tagen als guter Nachbar. Ich verstehe von der Offenbarung nichts.«
    »Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, Aglaja Iwanowna, daß das von
ihm nur Scharlatanerie ist; glauben Sie mir!« mischte sich General
Iwolgin schnell in das Gespräch hinein, der schon wie auf Kohlen
gesessen und auf das lebhafteste gewünscht hatte, irgendwie eine
Unterhaltung anzuknüpfen; er setzte sich bei diesen Worten neben Aglaja
Iwanowna.

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