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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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der Hand und zog ihn
hinter sich her.
    »Komm! Sofort! Nun gerade sofort, augenblicklich!« rief sie in einem Anfall starker Aufregung und Ungeduld.
    »Aber Sie setzen mich ja der Gefahr aus ...«
    »Was für einer Gefahr? Du harmloser Tropf! Gerade als ob du kein
Mann wärst! Na, jetzt werde ich selbst alles mit eigenen Augen sehen
...«
    »Aber lassen Sie mich doch wenigstens meinen Hut nehmen ...«
    »Da ist dein garstiger Hut, komm! Du hast nicht einmal so viel
Geschmack gehabt, dir eine ordentliche Fasson auszusuchen ...! Das hat
sie ... das hat sie infolge des Auftritts von heute vormittag getan ...
in der Aufregung«, murmelte Lisaweta Prokofjewna, indem sie den Fürsten
hinter sich herzog und seine Hand keinen Augenblick losließ. »Vorhin
habe ich dich noch verteidigt und habe laut erklärt, es sei dumm von
dir, daß du nicht kämst ... Sonst hätte sie ja auch nicht einen so
sinnlosen Brief geschrieben! Einen so unpassenden Brief, ganz unpassend
für ein anständiges, wohlerzogenes, kluges, kluges Mädchen ...! Hm«,
fuhr sie fort, »oder ... oder vielleicht ... vielleicht hat sie sich
selbst darüber geärgert, daß du nicht kamst, und nur nicht recht
bedacht, daß man an einen Idioten so nicht schreiben kann, weil er es
wörtlich auffaßt, wie es ja auch geschehen ist. Warum horchst du denn?«
rief sie, da sie merkte, daß sie zu viel gesagt hatte. »Sie braucht
einen Hansnarren, wie du einer bist; so einen hat sie schon lange nicht
gesehen; darum lädt sie dich ein zu kommen! Und ich freue mich, ich
freue mich, daß sie dich jetzt bei den Ohren kriegen wird, ich freue
mich! Das geschieht dir ganz recht! Und sie versteht das, oh, das
versteht sie vorzüglich!«
Fußnoten
    1 Eine Anspielung auf die Schlußworte von Gribojedows Lustspiel »Verstand schafft Leiden«. (A.d.Ü.)
    2 Jesuit, berühmter Kanzelredner und Beichtvater, 1632-1704. (A.d.Ü.)

Dritter Teil

I
    Es wird bei uns fortwährend darüber geklagt, daß es keine Praktiker
gebe; Politiker zum Beispiel gebe es eine Menge, desgleichen eine Menge
von Generalen; auch könne man Direktoren aller Art auf der Stelle so
viele finden, als man nur irgend wolle; aber an Praktikern mangle es.
Wenigstens ist es die allgemeine Klage, daß es daran mangle. Selbst bei
manchen Eisenbahnen ist, wie man sagt, kein ordentliches Personal
vorhanden; bei einer Dampfschiffahrts-Gesellschaft einen halbwegs
erträglichen Betrieb herzustellen, ist, wie es heißt, ein Ding der
Unmöglichkeit. An einer Stelle sind, wie man hört, auf einer neu
eröffneten Strecke ein paar Züge zusammengestoßen oder mit einer
zusammenbrechenden Brücke hinabgestürzt; an einer andern Stelle hat,
wie man in der Zeitung liest, ein Zug mitten in einem Schneefeld beinah
überwintern müssen: die Passagiere waren ausgefahren in der Erwartung,
daß die Fahrt einige Stunden dauern werde, und mußten fünf Tage im
Schnee zubringen. Wieder an einer andern Stelle faulen, wie erzählt
wird, viele tausend Pud Ware auf ein und demselben Fleck, zwei, drei
Monate lang in Erwartung des Abtransports, und der betreffende
Expedient hat dem Vernehmen nach (es ist übrigens kaum zu glauben) dem
kaufmännischen Kommis, der auf die Absendung seiner Ware drang, statt
sein Verlangen zu erfüllen, einen Schlag ins Gesicht versetzt und dann
sein Benehmen damit entschuldigt, daß er sagte, er sei »in Eifer
geraten«. Im Staatsdienst haben wir, wie es scheint, so viele Ämter,
daß es einem angst und bange wird, wenn man nur daran denkt; alle Leute
haben Ämter bekleidet, tun es jetzt oder beabsichtigen, es zu tun;
warum ist es da nicht möglich, aus einem so großen Menschenmaterial ein
anständiges Betriebspersonal bei einer
Dampfschiffahrts-Aktiengesellschaft zu bilden?
    Auf diese Frage wird manchmal eine sehr einfache Antwort gegeben,
eine so einfache Antwort, daß eine solche Erklärung kaum für richtig
gehalten werden kann. Man sagt nämlich: allerdings haben bei uns alle
Leute Ämter bekleidet oder tun es noch, und dieser Zustand dauert nun
nach dem schönsten deutschen Vorbild schon zweihundert Jahre, von den
Urgroßvätern bis zu den Urenkeln; aber gerade die Beamten sind ja die
unpraktischsten Menschen, und es ist so weit gekommen, daß das rein
abstrakte Wissen und der Mangel an praktischen Kenntnissen sogar unter
den Beamten selbst noch vor kurzem fast als die größte Tugend und
Empfehlung galt. Übrigens sind wir zweckloserweise auf die Beamten zu
reden gekommen; wir wollten eigentlich von Praktikern

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