Der Idiot
die Mädchen waren noch jung, wiewohl ein sehr
scharfsinniges Völkchen mit Neigung zur Ironie; der General aber besaß
zwar Verständnis (allerdings ein langsames und schwerfälliges), sagte
aber in schwierigen Fällen nur: »Hm!«, und setzte schließlich seine
ganze Zuversicht auf Lisaweta Prokofjewna. Auf ihr ruhte also die
Verantwortung. Nicht als ob diese Familie sich durch irgendeine
besondere Initiative ausgezeichnet hätte oder infolge eines bewußten Hanges zur Originalität aus dem Geleise gesprungen
wäre, was sich ja freilich mit der Schicklichkeit ganz und gar nicht
vertragen hätte. O nein! Das war wirklich nicht der Fall; das heißt, es
lag bei ihnen keine bewußte Absicht vor; aber dennoch kam es
schließlich so heraus, daß die Familie Jepantschin trotz all ihrer
Respektabilität von anderer Art war, als respektable Familien sein
müssen. In letzter Zeit hatte Lisaweta Prokofjewna angefangen, die
Schuld an alledem lediglich sich und ihrem »unglücklichen« Charakter
beizumessen, wodurch ihre Leiden nur noch vermehrt wurden. Sie selbst
nannte sich alle Augenblicke »eine dumme, taktlose Person, eine
verdrehte Schraube«, quälte sich mit ihrem Mißtrauen, war beständig
außer sich, fand bei ganz gewöhnlichen Dingen, die ihr zustießen,
keinen Ausweg und übertrieb fortwährend das Unglück.
Schon zu Beginn unserer Erzählung haben wir erwähnt, daß
Jepantschins sich allgemeiner, aufrichtiger Hochachtung erfreuten.
Sogar der General Iwan Fjodorowitsch selbst, ein Mann von geringer
Herkunft, wurde überall ohne Sträuben achtungsvoll empfangen. Diese
Achtung verdiente er erstens wegen seines Reichtums und seiner hohen
Stellung und zweitens als ein durchaus ordentlicher, wenn auch nicht
geistreicher Mann. Aber eine gewisse Stumpfheit des Geistes bildet ja,
wie es scheint, eine notwendige Eigenschaft, wenn nicht eines jeden
tätigen Arbeiters, so doch wenigstens eines jeden, der ernstlich auf
Gelderwerb bedacht ist. Endlich besaß der General gute Manieren, war
bescheiden, verstand zu schweigen, gleichzeitig aber auch, sich nichts
bieten zu lassen, und zwar nicht allein mit Rücksicht auf seinen
Generalsrang, sondern auch als ehrenhafter, anständiger Mensch. Das
Allerwichtigste war, daß er sich starker Protektion erfreute. Was
Lisaweta Prokofjewna anlangt, so stammte sie, wie schon oben dargelegt
ist, aus einem vornehmen Geschlecht, wiewohl man bei uns auf solche
Herkunft keinen großen Wert legt, wenn nicht die notwendigen
Konnexionen hinzukommen. Aber auch an denen fehlte es ihr nicht; sie
wurde von so hohen Persönlichkeiten geachtet, ja geliebt, daß nach
deren Vorgang natürlich auch alle andern sie achten und empfangen
mußten. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ihre Qualen mit Bezug auf
ihre Familie keinen rechten Anlaß hatten, einer ernsten Ursache
ermangelten und in komischer Weise übertrieben waren; aber wenn jemand
auf der Nase oder auf der Stirn eine Warze hat, so meint er immer, alle
Leute hätten auf der Welt nichts anderes zu tun, als seine Warze
anzusehen, darüber zu spotten und ihn deswegen geringzuschätzen, selbst
wenn er sich durch die Entdeckung von Amerika verdient gemacht habe. Es
ist auch nicht daran zu zweifeln, daß man in der Gesellschaft Lisaweta
Prokofjewna wirklich für »eine verdrehte Schraube« hielt; indes genoß
sie trotzdem unstreitig alle Achtung; aber Lisaweta Prokofjewna mochte
zuletzt an diese Achtung nicht mehr glauben – und das war der ganze
Schade. Wenn sie ihre Töchter ansah, so quälte sie sich mit dem
Verdacht, sie schädige fortwährend den Lebensweg derselben durch irgend
etwas, sie habe einen lächerlichen, taktlosen, unerträglichen
Charakter; aber natürlich beschuldigte sie unaufhörlich ihre Töchter
und Iwan Fjodorowitsch und zankte sich ganze Tage lang mit ihnen herum,
obwohl sie sie gleichzeitig leidenschaftlich und bis zur
Selbstvergessenheit liebte.
Am meisten quälte sie die Befürchtung, ihre Töchter könnten ebenso
»verdrehte Schrauben« werden wie sie; solche Mädchen wie die ihrigen,
meinte sie, gebe es auf der ganzen Welt nicht mehr und könne es auch
gar nicht mehr geben. »Sie werden die reinen Nihilistinnen, das ist's!«
sagte sie alle Augenblicke bei sich im stillen. Im letzten Jahr und
besonders in der allerletzten Zeit hatte sich dieser traurige Gedanke
immer mehr und mehr bei ihr festgesetzt. »Erstens, warum verheiraten
sie sich nicht?« fragte sie sich fortwährend. »Um ihre Mutter zu
ärgern; darin sehen sie ihren
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