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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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»Warum bist du die ganzen drei Tage
nicht gekommen?« rief sie ihm ungeduldig zum zweitenmal zu.
    Der Fürst begann seine Gründe anzuführen; aber sie unterbrach ihn von neuem.
    »Alle halten sie dich für einen Dummkopf und betrügen dich! Du bist
gestern nach der Stadt gefahren; ich möchte wetten, du hast auf den
Knien gelegen und diesen Schuft gebeten, die zehntausend Rubel
anzunehmen!«
    »Keineswegs; ich habe gar nicht daran gedacht. Ich habe ihn
überhaupt nicht besucht, und außerdem ist er kein Schuft. Ich habe
einen Brief von ihm erhalten.«
    »Zeig ihn mal her!«
    Der Fürst nahm einen Zettel aus seiner Brieftasche und reichte ihn Lisaweta Prokofjewna hin. Auf dem Zettel stand:
    »Geehrter Herr! Ich habe freilich in den Augen der Menschen nicht
das geringste Recht, Ehrgefühl zu besitzen; nach der Meinung der Leute
stehe ich dazu zu niedrig. Aber so ist das nur in den Augen der
Menschen, nicht in den Ihrigen. Ich bin zu der bestimmten Überzeugung
gelangt, daß Sie, geehrter Herr, besser als andere sind. Ich bin darin
nicht Doktorenkos Meinung und trenne mich in diesem Punkt von ihm. Ich
werde von Ihnen nie auch nur eine Kopeke annehmen; aber Sie haben meine
Mutter unterstützt, und dafür muß ich Ihnen dankbar sein, wenn auch nur
aus Schwäche. Jedenfalls sehe ich Sie jetzt mit anderen Augen an und
hielt für nötig, Ihnen das mitzuteilen. Des weiteren aber bin ich der
Ansicht, daß zwischen uns keinerlei Beziehungen mehr bestehen können.
Antip Burdowski.
    P.S. Die an den zweihundertfünfzig Rubeln fehlende Summe wird Ihnen im Laufe der Zeit sicher zurückgezahlt werden.«
    »So ein Blödsinn!« rief Lisaweta Prokofjewna nach dem Durchlesen und warf dem Fürsten das Blatt wieder hin.
    »Es lohnte nicht der Mühe, es durchzulesen. Was schmunzelst du?«
    »Geben Sie doch zu, daß auch Sie es mit Vergnügen gelesen haben!«
    »Wie? Diesen von Eitelkeit durchtränkten Unsinn? Siehst du denn
nicht, daß diese Menschen alle vor Stolz und Eitelkeit geradezu
verrückt geworden sind?«
    »Ja, aber er hat sich schuldig bekannt, hat mit Doktorenko
gebrochen, und je eitler er ist, um so schwerer muß das seiner
Eitelkeit gefallen sein. Ach, was sind Sie für ein kleines Kind,
Lisaweta Prokofjewna!«
    »Du möchtest wohl zum Schluß eine Ohrfeige von mir bekommen, was?«
    »Nein, das möchte ich nicht. Ich sage das, weil Sie sich über den
Brief freuen und es verbergen. Warum schämen Sie sich Ihrer
Empfindungen? So machen Sie es immer.«
    »Untersteh dich nicht, je wieder den Fuß über meine Schwelle zu
setzen!« rief Lisaweta Prokofjewna und sprang, ganz blaß vor Zorn, auf.
»Laß dich nie wieder bei mir blicken!«
    »Aber nach drei Tagen werden Sie selbst herkommen und mich zu sich
rufen ... Sie sollten sich schämen! Das sind ja Ihre besten
Empfindungen; warum schämen Sie sich ihrer denn? Sie quälen sich ja nur
selbst damit.«
    »Ich will eher sterben, als daß ich dich jemals rufe! Ich werde deinen Namen vergessen! Ich habe ihn schon vergessen!«
    Sie stürzte von dem Fürsten weg.
    »Es war mir sowieso schon verboten worden, zu Ihnen zu gehen!« rief ihr der Fürst nach.
    »Wa-as? Wer hat es dir verboten?«
    Sie wandte sich augenblicklich um, wie wenn jemand sie mit einer
Nadel gestochen hätte. Der Fürst zauderte zu antworten; er merkte, daß
er unbedachtsamerweise sich arg verplappert hatte.
    »Wer hat es dir verboten?« rief Lisaweta Prokofjewna wütend.
    »Aglaja Iwanowna hat es mir verboten ...«
    »Wann? So – re-de – doch!«
    »Heute vormittag hat sie mir die Weisung zugehen lassen, ich möchte mich nie wieder erdreisten, zu Ihnen zu kommen.«
    Lisaweta Prokofjewna stand wie versteinert da; aber sie suchte sich
die Sache zurechtzulegen. »Was hat sie dir geschickt? Wen hat sie
geschickt? Den dummen Jungen? Mit einer mündlichen Bestellung?« rief
sie wieder.
    »Ich habe ein Billett erhalten«, versetzte der Fürst.
    »Wo ist es? Gib es her! Augenblicklich!«
    Der Fürst überlegte einen Augenblick, zog dann aber aus der
Westentasche ein gewöhnliches Stückchen Papier heraus, auf dem
geschrieben stand:
    »Fürst Ljow Nikolajewitsch! Wenn Sie nach allem, was vorgefallen
ist, beabsichtigen sollten, mich durch einen Besuch in unserem Landhaus
in Erstaunen zu versetzen, so mögen Sie wissen, daß ich nicht zu
denjenigen gehören werde, die sich darüber freuen. Aglaja Jepantschina.«
    Lisaweta Prokofjewna dachte ein Weilchen nach; dann stürzte sie
plötzlich auf den Fürsten zu, ergriff ihn bei

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