Der Idiot
Lebensjahr. Fassen Sie
auch jetzt meine Worte und Handlungen als die eines Kranken auf. Ich
werde sogleich weggehen, sogleich; seien Sie dessen versichert. Ich
erröte über mein Wesen nicht; denn es wäre ja wunderlich, wenn ich
darüber erröten wollte, nicht wahr? Aber für die Gesellschaft tauge ich
nicht ... Ich sage das nicht aus gekränktem Ehrgefühl ... Ich habe in
diesen drei Tagen viel nachgedacht und bin zu der Einsicht gekommen,
daß ich Ihnen bei erster Gelegenheit meinen Entschluß offen und ehrlich
mitteilen muß. Es gibt Ideen, hohe Ideen, von denen ich nicht zu reden
anfangen darf, weil ich unfehlbar alle Hörer zum Lachen bringen würde;
eben dies hat mir Fürst Schtsch. soeben ins Gedächtnis zurückgerufen
... Ich besitze kein schickliches Benehmen, und meine Gefühle sind
maßlos; meine Worte entsprechen meinen Gedanken nicht, sondern kommen
anders heraus; darin aber liegt eine Herabwürdigung dieser Gedanken.
Und daher habe ich kein Recht ... Außerdem bin ich mißtrauisch; ich ...
ich bin überzeugt, daß mich in diesem Haus niemand kränken will, und
daß ich hier mehr geliebt werde, als ich verdiene; aber ich weiß, weiß
zuverlässig, daß nach einer vierundzwanzigjährigen Krankheit
notwendigerweise etwas zurückbleiben mußte, so daß die Menschen
manchmal nicht umhin können, über mich zu lachen ... nicht wahr?«
Er blickte sich ringsum und schien eine Erwiderung, eine Antwort auf
seine Frage zu erwarten. Alle standen stumm da, peinlich erstaunt über
dieses unerwartete, krankhafte und, wie es schien, jeder Ursache
entbehrende Benehmen. Aber dieses Benehmen gab zu einer seltsamen
Episode Anlaß.
»Warum sagen Sie das hier?« rief Aglaja plötzlich. »Warum sagen Sie
das zu diesen Menschen? Zu diesen Menschen! Zu diesen Menschen!«
Sie schien im höchsten Grad entrüstet zu sein; ihre Augen sprühten
Funken. Der Fürst stand stumm und sprachlos vor ihr und wurde auf
einmal ganz blaß.
»Hier ist niemand, der solcher Worte wert wäre!« fuhr Aglaja heftig
fort. »Alle, die hier anwesend sind, sind nicht so viel wert wie Ihr
kleiner Finger und reichen an Ihren Verstand und an Ihr Herz nicht
heran; Sie sind ehrlicher als sie alle, edler als sie alle, klüger als
sie alle ...! Manche sind hier nicht wert, sich zu bücken und das
Taschentuch aufzuheben, das Sie soeben haben hinfallen lassen ... Warum
setzen Sie sich selbst herab und stellen sich unter die andern alle?
Warum karikieren Sie all Ihre guten Eigenschaften? Warum besitzen Sie
so gar keinen Stolz?«
»O Gott, ist es zu glauben?« rief Lisaweta Prokofjewna und schlug die Hände zusammen.
»Der arme Ritter! Hurra!« schrie Kolja begeistert.
»Schweigen Sie ...! Wie kann jemand wagen, mich hier in Ihrem Haus
zu beleidigen!« wandte sich Aglaja plötzlich mit größter Heftigkeit zu
ihrer Mutter. Sie befand sich bereits in jenem gereizten Zustand, in
dem der Mensch sich um keine Grenzen mehr kümmert und über jedes
Hindernis hinwegschreitet. »Warum peinigen sie mich alle, alle ohne
Ausnahme? Warum haben alle diese Menschen mir diese drei Tage lang um
Ihretwillen zugesetzt, Fürst? Ich werde Sie um keinen Preis heiraten!
Hören Sie wohl: um keinen Preis und niemals! Das mögen Sie wissen! Wie
kann man denn auch einen so lächerlichen Menschen wie Sie heiraten?
Betrachten Sie sich nur jetzt einmal im Spiegel, wie Sie dastehen!
Warum, warum ziehen mich alle damit auf, daß ich Sie heiraten werde?
Sie, Sie müssen das wissen! Sie sind auch mit ihnen im Komplott!«
»Nie hat dich jemand damit aufgezogen!« murmelte Adelaida erschrocken.
»Es ist keinem in den Sinn gekommen; kein Wort von der Art ist gesprochen worden!« rief Alexandra Iwanowna.
»Wer hat sie aufgezogen? Wann ist das geschehen? Wer hat es
fertiggebracht, so etwas zu ihr zu sagen? Redet sie irre?« Mit diesen
Fragen wandte sich Lisaweta Prokofjewna, zitternd vor Zorn, an alle
Anwesenden.
»Alle haben es gesagt, alle ohne Ausnahme, die ganzen drei Tage lang! Aber ich werde ihn niemals heiraten, niemals!«
Nach diesen heftig hervorgestoßenen Worten brach Aglaja in bittere
Tränen aus, verbarg ihr Gesicht mit dem Taschentuch und ließ sich auf
einen Stuhl sinken.
»Aber er hat dir ja noch gar keinen Antrag ...«
»Ich habe Ihnen keinen Antrag gemacht, Aglaja Iwanowna«, entfuhr es dem Fürsten unwillkürlich.
»Wa-as?« rief Lisaweta Prokofjewna erstaunt, entrüstet, erschrocken
aus und zog dieses Wort sehr in die Länge. »Was – soll – das –
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