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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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ganzen Vision blieb ihm nur der Eindruck des schiefen
Lächelns, der Augen und des hellgrünen, stutzerhaften Halstuches, das
der vorüberhuschende Herr getragen hatte, im Gedächtnis haften. Ob
dieser Herr in der Menge verschwunden oder in den Bahnhof
hineingeschlüpft war, das konnte der Fürst gleichfalls nicht sagen.
    Aber einen Augenblick darauf begann er auf einmal schnell und
unruhig um sich zu blicken; diese erste Vision konnte die Vorbotin und
Vorgängerin einer zweiten sein. Das war mit Sicherheit anzunehmen.
Hatte er wirklich, als er nach dem Bahnhof ging, gar nicht an die
Möglichkeit eines Zusammentreffens gedacht? Während er nach dem Bahnhof
ging, hatte er allerdings gar nicht gewußt, daß er dorthin ging; in
einem solchen Zustand hatte er sich befunden. Wenn er verstanden oder
vermocht hätte aufmerksamer zu sein, so hätte er schon vor einer
Viertelstunde bemerken können, daß Aglaja ab und zu ebenfalls mit einer
gewissen Unruhe eilig um sich blickte, ebenfalls als ob sie etwas um
sich herum suche. Jetzt, als seine Unruhe stark bemerkbar wurde, wuchs
auch Aglajas Aufregung und Unruhe, und kaum blickte er rückwärts, so
tat auch sie fast im gleichen Augenblick dasselbe. Das Ereignis, dem
mit solcher Unruhe entgegengesehen wurde, ließ nicht lange auf sich
warten.
    Von eben jenem Seitenausgang des Bahnhofes her, neben dem der Fürst
und die ganze Jepantschinsche Gesellschaft Platz genommen hatten,
erschien ein ganzer Schwarm von mindestens zehn Menschen. An der Spitze
dieses Schwarmes gingen drei Frauen; zwei von ihnen waren
außerordentlich schön, und es war nicht zu verwundern, daß ihnen so
viele Verehrer nachfolgten. Aber sowohl die Verehrer als auch die
Frauen, alle hatten etwas Besonderes an sich, etwas, was von dem Wesen
des übrigen bei der Musik versammelten Publikums stark abwich.
    Fast alle Anwesenden bemerkten die Ankömmlinge sofort, bemühten sich
aber großenteils, so zu tun, als ob sie sie gar nicht sähen, und nur
einige junge Männer lächelten über sie und tauschten miteinander
halblaute Bemerkungen aus. Sie zu übersehen war ganz unmöglich: sie
zeigten sich offen, redeten laut und lachten. Man konnte annehmen, daß
manche unter ihnen einen ziemlichen Rausch hatten, obgleich äußerlich
betrachtet mehrere derselben stutzerhaft und elegant gekleidet waren;
aber es waren darunter auch Leute von recht sonderbarem Aussehen, in
sonderbarer Kleidung und mit sonderbar geröteten Gesichtern; auch
einige Offiziere waren dabei; manche waren bereits über die Jugend
hinaus; etliche waren behäbig gekleidet, in bequemen, elegant
gearbeiteten Anzügen, und trugen kostbare Ringe und Hemdknöpfe,
prächtige pechschwarze Perücken und schwarze Backenbärte und gaben
ihren Gesichtern einen besonders vornehmen, wiewohl etwas verdrossenen
Ausdruck, eine Menschensorte, die man in der Gesellschaft wie die Pest
zu meiden pflegt. Unter den Sommerfrischen in unseren Vororten befinden
sich natürlich auch solche, die sich durch besonders guten Ton
auszeichnen und sich eines vorzüglichen Rufes erfreuen; aber auch der
vorsichtigste Mensch kann sich nicht in jedem Augenblick vor einem
Ziegelstein hüten, der vom Nachbarhaus herabfällt. Ein solcher
Ziegelstein war jetzt auch im Begriff auf das wohlanständige Publikum
herabzufallen, das sich bei der Musik versammelt hatte.
    Um von dem Bahnhof auf den Platz zu gelangen, auf dem das Orchester
war, mußte man drei Stufen hinabsteigen. Dicht bei diesen Stufen hatte
der Schwarm haltgemacht; sie trauten sich nicht hinabzusteigen; aber
eine der Frauen schritt vorwärts; von ihrer Suite wagten nur zwei
Männer ihr zu folgen. Der eine war ein Herr in mittleren Jahren, mit
recht bescheidener Miene und einem in jeder Hinsicht anständigen
Äußern; aber er machte den Eindruck eines richtigen Einschichters, das
heißt eines der Leute, die nie jemanden kennen und von niemandem
gekannt werden. Der andere, der sich von der Dame nicht getrennt hatte,
trug eine sehr schäbige Kleidung und sah sehr zweideutig aus. Außer
diesen beiden folgte der exzentrischen Dame niemand weiter; aber sie
blickte während des Hinuntersteigens gar nicht zurück, als wäre es ihr
völlig gleichgültig, ob ihr jemand folge oder nicht. Sie lachte und
redete laut wie vorher; gekleidet war sie mit vielem Geschmack und
reich, aber etwas luxuriöser, als es schicklich gewesen wäre. Sie
schlug die Richtung an dem Orchester vorbei nach der andern Seite des
Platzes ein, wo neben der Landstraße

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