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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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er hat alles
durchgebracht. Ja, ja, der alte Mann führte ein ausschweifendes Leben
... Nun, lebe wohl, bonne chance! Also du fährst wirklich nicht hin? Da
hast du ja noch glücklich zur rechten Zeit den Abschied genommen, du
Schlaukopf! Ach, Unsinn, du hast es ja gewußt, hast es vorher gewußt:
vielleicht wußtest du es schon gestern ...«
    Obgleich hinter dieser dreisten Zudringlichkeit und der öffentlichen
Behauptung einer gar nicht existierenden Bekanntschaft und Intimität
unbedingt eine besondere Absicht steckte und daran jetzt kein Zweifel
mehr möglich war, so hatte Jewgeni Pawlowitsch doch zunächst noch
geglaubt, er könne davonkommen, wenn er die Beleidigerin gar nicht
beachte. Aber Nastasja Filippownas Worte trafen ihn wie ein
Donnerschlag; als er von dem Tod seines Onkels hörte, wurde er
kreidebleich und wandte sich zu der Überbringerin dieser Nachricht hin.
In diesem Augenblick erhob sich Lisaweta Prokofjewna schnell von ihrem
Platz, winkte allen, ihr zu folgen, und entfernte sich fast laufend.
Nur Fürst Ljow Nikolajewitsch blieb noch einen Moment anscheinend
unentschlossen auf seinem Platz, und Jewgeni Pawlowitsch stand immer
noch wie besinnungslos da. Aber die Familie Jepantschin hatte sich noch
nicht zwanzig Schritte entfernt, als sich eine furchtbare Skandalszene
abspielte. Der mit Jewgeni Pawlowitsch gut befreundete Offizier, der
sich mit Aglaja unterhalten hatte, war im höchsten Grad empört.
    »Da müßte man einfach eine Reitpeitsche nehmen; auf andere Art wird
man mit diesem Geschöpf nicht fertig!« sagte er ziemlich laut. (Wie es
schien, war er auch früher schon Jewgeni Pawlowitschs Vertrauter
gewesen.)
    Nastasja Filippowna wandte sich augenblicklich zu ihm um. Ihre Augen
funkelten; sie stürzte auf einen ihr ganz unbekannten jungen Mann los,
der zwei Schritte von ihr entfernt stand und ein dünnes geflochtenes
Spazierstöckchen in der Hand hatte, entriß es ihm und versetzte ihrem
Beleidiger damit aus aller Kraft einen Schlag quer ins Gesicht. All
dies vollzog sich in einer Sekunde ... Der Offizier, vor Wut außer
sich, stürzte sich auf sie; ihr Gefolge hatte Nastasja Filippowna nicht
mehr um sich; der anständige Herr in mittleren Jahren war bereits
völlig verschwunden, und der angeheiterte Herr stand ein wenig abseits
und lachte aus Leibeskräften. Eine Minute darauf wäre natürlich die
Polizei erschienen; aber während dieser Minute wäre es Nastasja
Filippowna schlimm ergangen, wenn ihr nicht eine unerwartete Hilfe
gekommen wäre: der Fürst, der ebenfalls zwei Schritte davon entfernt
stand, vermochte noch gerade den Offizier von hinten an den Armen zu
fassen. Seinen Arm losreißend, versetzte ihm der Offizier einen starken
Stoß gegen die Brust; der Fürst flog etwa drei Schritte zurück und fiel
auf einen Stuhl. Aber nun erschienen bei Nastasja Filippowna bereits
zwei Beschützer. Vor dem heranstürmenden Offizier stand der Boxer, der
Verfasser jenes dem Leser bekannten Schmähartikels und aktives Mitglied
der früheren Rogoschinschen Bande.
    »Keller! Leutnant a.D.«, stellte er sich in affektiert forscher
Weise vor. »Wenn Ihnen ein Faustkampf gefällig ist, Hauptmann, so stehe
ich als Vertreter des schwachen Geschlechts zu Ihren Diensten; ich
verstehe mich vorzüglich auf die englische Boxkunst. Nehmen Sie es
nicht übel, Hauptmann; ich bedaure die Ihnen angetane ›blutige‹
Beleidigung; aber ich kann nicht zugeben, daß jemand gegen eine Frau
vor den Augen des Publikums vom Faustrecht Gebrauch macht. Wenn Sie
aber, wie es sich für einen anständigen Mann schickt, die Sache in
anderer Form zu erledigen wünschen, so ... Sie werden mich
selbstverständlich verstehen, Hauptmann ...«
    Aber der Hauptmann war schon zur Besinnung gekommen und hörte nicht
mehr auf ihn. In diesem Augenblick tauchte Rogoschin aus der Menge auf,
reichte Nastasja Filippowna schnell den Arm und zog sie hinter sich her
davon. Rogoschin selbst schien furchtbar aufgeregt zu sein; er war blaß
und zitterte. Während er Nastasja Filippowna wegführte, fand er noch
Zeit, dem Offizier höhnisch ins Gesicht zu lachen und ihm mit
triumphierender Miene zuzurufen:
    »Hui! Da hast du's abbekommen! Die ganze Visage voll Blut! Hui!«
    Der Offizier, der seine Fassung wiedererlangt hatte und sich darüber
klar geworden war, an wen er sich zu halten hatte, wandte sich, das
Gesicht mit dem Taschentuch verdeckend, höflich an den Fürsten, der
bereits vom Stuhl wieder aufgestanden war:
    »Sie sind Fürst Myschkin,

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