Der Idiot
dem ich das Vergnügen hatte vorgestellt zu werden?«
»Sie ist irrsinnig! Geisteskrank! Ich versichere Ihnen!« antwortete
der Fürst mit zitternder Stimme und streckte ihm aus irgendeinem Grund
seine zitternden Hände entgegen.
»Ich kann mich natürlich solcher Kenntnisse nicht rühmen; aber ich muß Ihren Namen wissen.«
Er nickte ihm zu und ging weg. Die Polizei erschien genau fünf
Sekunden, nachdem die letzten beteiligten Personen verschwunden waren.
Übrigens hatte die ganze Szene nicht länger als zwei Minuten gedauert.
Einige aus dem Publikum hatten sich von ihren Stühlen erhoben und waren
weggegangen; andere hatten sich nur von dem bisherigen Platz auf einen
andern gesetzt; wieder andere freuten sich gewaltig über den Skandal;
andere endlich begannen eifrig und mit lebhaftem Interesse darüber zu
sprechen. Die Musikkapelle fing wieder an zu spielen. Der Fürst folgte
den Jepantschins nach. Wenn er darauf verfallen wäre oder Zeit gehabt
hätte, nach links zu blicken, als er infolge des Stoßes auf den Stuhl
gefallen war, so hätte er zwanzig Schritte von ihm entfernt Aglaja
erblickt, die stehengeblieben war, um die Skandalszene mitanzusehen,
und nicht auf die Rufe ihrer Mutter und ihrer Schwestern hörte, welche
schon weitergegangen waren. Fürst Schtsch., der zu ihr gelaufen kam,
überredete sie endlich, schneller wegzugehen. Lisaweta Prokofjewna
erinnerte sich später, daß Aglaja zu ihnen in einer solchen Aufregung
zurückkam, daß sie ihre Rufe wohl kaum gehört haben mochte. Aber zwei
Minuten darauf, als sie eben in den Park eingetreten waren, sagte
Aglaja in ihrem gewöhnlichen, gleichgültigen, launischen Ton:
»Ich wollte nur ansehen, wie die Komödie endete.«
III
Der Vorfall auf dem Bahnhof hatte die Mutter und die Töchter arg
erschreckt. In ihrer Unruhe und Aufregung legten Lisaweta Prokofjewna
und die Töchter den ganzen Weg vom Bahnhof nach ihrem Haus geradezu
laufend zurück. Nach der Ansicht und Auffassung der Mutter war der
Vorfall doch sehr bedeutsam und es hatte sich bei ihm doch gar manches
entschleiert, so daß in ihrem Kopf, trotz aller Verwirrung und Angst,
sich bereits bestimmte Gedanken gestalteten. Aber auch die andern
begriffen, daß da etwas Besonderes vorgegangen war, und daß sich,
vielleicht zum Glück, irgendein großes Geheimnis zu enthüllen begann.
Trotz der früheren Behauptungen und Versicherungen des Fürsten Schtsch.
war Jewgeni Pawlowitsch jetzt entlarvt und seiner Beziehungen zu diesem
Geschöpf in aller Form überführt. So dachten Lisaweta Prokofjewna und
auch ihre beiden ältesten Töchter. Aber der Gewinn aus dieser
Schlußfolgerung bestand lediglich darin, daß die Rätsel sich noch mehr
häuften. Die beiden ältesten Mädchen waren zwar im stillen etwas
ungehalten darüber, daß ihre Mama sich so übermäßig geängstigt hatte
und so offensichtlich davongelaufen war; aber sie mochten sie in der
ersten Zeit des Wirrwarrs nicht mit Fragen belästigen. Außerdem hatten
sie aus irgendeinem Grund den Eindruck, daß ihre Schwester Aglaja
vielleicht von dieser Sache mehr wisse als sie beide und die Mama.
Fürst Schtsch. machte ein Gesicht finster wie die Nacht und war
ebenfalls sehr nachdenklich. Lisaweta Prokofjewna sprach mit ihm auf
dem ganzen Weg kein Wort; aber er schien das gar nicht zu beachten.
Adelaida versuchte, ihn zu fragen: »Von was für einem Onkel war denn da
eben die Rede, und was ist denn eigentlich in Petersburg passiert?«
Aber er gab ihr mit sehr saurer Miene murmelnd eine recht unbestimmte
Antwort von irgendwelchen Erkundigungen, die er anstellen wolle, und
das sei natürlich alles Unsinn. »Daran ist kein Zweifel«, antwortete
Adelaida und fragte nicht weiter. Aglaja dagegen war auffallend ruhig
und bemerkte unterwegs nur, sie liefen doch gar zu schnell. Einmal
wandte sie sich um und erblickte den Fürsten, der ihnen nacheilte. Als
sie wahrnahm, wie er sich anstrengte, um sie einzuholen, lächelte sie
spöttisch und sah sich seitdem nicht mehr um.
Endlich, als sie schon ganz nahe bei ihrem Landhaus waren, kam ihnen
Iwan Fjodorowitsch entgegen, der soeben aus Petersburg zurückgekommen
war. Er erkundigte sich sogleich bei den ersten Worten nach Jewgeni
Pawlowitsch. Aber seine Gattin ging mit drohender Miene an ihm vorbei,
ohne ihm zu antworten und ohne ihn auch nur anzusehen. An den Augen
seiner Töchter und des Fürsten Schtsch. erkannte er sogleich, daß es in
seiner Familie gewitterte. Aber auch ohne das prägte sich auf
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