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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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seinem
eigenen Gesicht eine ungewöhnliche Unruhe aus. Er faßte den Fürsten
Schtsch. sogleich unter, hielt ihn am Hauseingang zurück und wechselte
fast flüsternd einige Worte mit ihm. An den aufgeregten Mienen beider,
als sie dann in die Veranda kamen und durch diese hindurch sich zu
Lisaweta Prokofjewna begaben, konnte man merken, daß sie beide eine
außerordentliche Nachricht erhalten hatten. Allmählich fanden sich alle
oben bei Lisaweta Prokofjewna zusammen, und in der Veranda blieb
schließlich nur der Fürst zurück. Er saß in einer Ecke, wie wenn er auf
etwas wartete, ohne jedoch selbst zu wissen, warum; angesichts der im
Hause herrschenden Unruhe wegzugehen, das kam ihm gar nicht in den
Sinn; es schien, als habe er die ganze Welt vergessen und sei bereit,
selbst zwei Jahre hintereinander da zu sitzen, wo man ihn hinsetzen
würde. Von oben hörte er mitunter einzelne Laute eines aufgeregten
Gesprächs. Er hätte selbst nicht sagen können, wie lange er da schon so
gesessen hatte. Es war spät geworden und schon ganz dunkel. Auf einmal
kam Aglaja nach der Veranda heraus; sie war äußerlich ruhig, wiewohl
etwas blaß. Als sie den Fürsten erblickte, den sie anscheinend nicht
erwartet hatte hier in der Ecke auf einem Stuhl zu treffen, lächelte
sie wie erstaunt.
    »Was machen Sie denn hier?« fragte sie, an ihn herantretend.
    Der Fürst murmelte verlegen eine Antwort und sprang vom Stuhl auf;
aber Aglaja setzte sich sogleich neben ihn, und so ließ auch er sich
wieder nieder. Sie blickte ihn aufmerksam an; dann sah sie wie
gedankenlos durch das Fenster, dann wieder nach ihm hin. »Vielleicht
will sie sich über mich lustig machen«, dachte der Fürst; »aber nein,
dann hätte sie es ja schon getan.«
    »Vielleicht möchten Sie Tee trinken; dann werde ich welchen bringen lassen«, sagte sie nach einigem Schweigen.
    »N-nein. Ich weiß nicht ...«
    »Aber wie kann man denn so etwas nicht wissen? Ach ja, hören Sie:
wenn Sie jemand zum Duell forderte, was würden Sie dann machen? Ich
wollte Sie schon vorhin danach fragen.«
    »Aber ... wer sollte das tun ...? Es fordert mich ja niemand zum Duell.«
    »Nun, aber wenn Sie gefordert würden? Würden Sie große Angst haben?«
    »Ich glaube, ich würde mich sehr ... fürchten.«
    »Im Ernst? Also sind Sie feige?«
    »N-nein; das vielleicht nicht. Feige ist derjenige, der sich
fürchtet und davonläuft; aber wer sich fürchtet und nicht davonläuft,
der braucht noch nicht feige zu sein«, erwiderte der Fürst nach kurzem
Nachdenken lächelnd.
    »Und Sie würden nicht weglaufen?«
    »Vielleicht würde ich das nicht tun«, antwortete er, schließlich auflachend, auf Aglajas Fragen.
    »Ich bin zwar ein Weib; aber ich würde unter keinen Umständen weglaufen«, bemerkte sie empfindlich.
    »Aber Sie machen sich über mich lustig und reden nach Ihrer
Gewohnheit wunderliches Zeug, um sich interessant zu machen. Sagen Sie
mal: die Duellanten schießen ja wohl gewöhnlich auf zwölf Schritte,
manche auch auf zehn Schritte; also wird man sicher erschossen oder
verwundet?«
    »Beim Duell fällt wohl selten jemand.«
    »Selten? Puschkin wurde doch im Duell erschossen.«
    »Das war vielleicht ein Zufall.«
    »Ganz und gar kein Zufall; es war ein Duell auf Leben und Tod, und da wurde er erschossen.«
    »Die Kugel traf ihn so weit unten, daß man annehmen muß, d'Antès
habe auf eine höhere Körperstelle gezielt, auf die Brust oder auf den
Kopf. So weit nach unten zielt niemand; somit hat die Kugel Puschkin
aller Wahrscheinlichkeit nach zufällig getroffen, durch einen
Fehlschuß. Das ist mir von urteilsfähigen Leuten gesagt worden.«
    »Aber mir hat ein Soldat, mit dem ich einmal sprach, gesagt, sie
seien, wenn sie sich in Schützenschwärme auflösten, durch das Reglement
ausdrücklich angewiesen, auf die Mitte des Menschen zu zielen; so
lautet der Ausdruck bei ihnen. Also die werden angewiesen, nicht nach
der Brust oder nach dem Kopf, sondern absichtlich nach der Mitte des
Körpers zu schießen. Ich fragte später einen Offizier danach, und der
sagte mir, daß es sich genau so verhalte.«
    »Das ist gewiß so angeordnet, weil da auf weite Entfernung geschossen wird.«
    »Können Sie schießen?«
    »Ich habe noch nie geschossen.«
    »Können Sie wirklich nicht einmal eine Pistole laden?«
    »Nein, das kann ich nicht. Das heißt, ich weiß, wie es gemacht wird; aber ich habe noch nie selbst eine geladen.«
    »Nun, dann können Sie es auch nicht; denn dazu gehört

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