Der Idiot
kalt zu werden und das Gas
angezündet wird; ich machte manchmal weite Wege. Einmal überholte mich
in der Schestilawotschnaja-Straße in der Dunkelheit ein ›den besseren
Ständen angehöriger‹ Herr; ich konnte ihn nicht genauer sehen; er trug
etwas in Papier Eingewickeltes und hatte einen kurzen, unschönen
Paletot an, der für die Jahreszeit zu leicht war. Als er bei einer
Laterne vorbeikam, die sich in einer Entfernung von ungefähr zehn
Schritten vor mir befand, bemerkte ich, daß ihm etwas aus der Tasche
fiel. Ich beeilte mich, es aufzuheben – und es war die höchste Zeit, da
bereits ein Mann in einem langen Kaftan hinzusprang; als dieser aber
den Gegenstand in meinen Händen erblickte, machte er ihn mir nicht
streitig, warf nur einen eiligen Blick danach hin und schlüpfte vorbei.
Dieser Gegenstand war eine große, lederne, altmodische, ganz
vollgestopfte Brieftasche; aber ich vermutete, ich weiß nicht woher,
gleich beim ersten Blick, daß alles mögliche darin sei, nur kein Geld.
Der Passant, der die Brieftasche verloren hatte, ging bereits etwa
vierzig Schritte vor mir, und ich verlor ihn in der Menge bald aus dem
Gesicht. Ich fing an zu laufen und ihm nachzurufen; aber da ich nichts
weiter rufen konnte als ›He!‹, so drehte er sich nicht um. Auf einmal
bog er nach links in den Torweg eines Hauses ein. Als ich in den Torweg
hineinlief, in dem es sehr dunkel war, war niemand mehr da. Das Haus
war von gewaltiger Größe, eines jener Riesenbauwerke, wie sie von
Spekulanten mit lauter kleinen Wohnungen errichtet werden; in manchen
derartigen Häusern gibt es bis zu hundert Wohnungen. Als ich durch den
Torweg lief, kam es mir so vor, als ob in dem hinten rechts
befindlichen Winkel des riesigen Hofes ein Mensch ginge, wiewohl ich es
in der Dunkelheit kaum unterscheiden konnte. Ich lief nach jenem Winkel
hin und sah einen Eingang mit einer Treppe. Die Treppe war eng, sehr
schmutzig und ganz ohne Beleuchtung; aber ich hörte, daß oben ein
Mensch noch die Stufen hinaufstieg, und begann ebenfalls
hinaufzusteigen, indem ich darauf rechnete, ihn einzuholen, während ihm
irgendwo eine Tür werde geöffnet werden. So ähnlich kam es denn auch.
Die Treppen waren zwar sehr kurz, aber sehr zahlreich, so daß ich
furchtbar außer Atem kam; im fünften Stock wurde eine Tür geöffnet und
wieder zugemacht, das merkte ich, als ich noch drei Treppen tiefer war.
Während ich hinauflief, auf dem Treppenabsatz wieder Atem schöpfte und
die Klingel suchte, waren mehrere Minuten vergangen. Endlich öffnete
mir eine Frau, die in einer winzigen Küche einen Samowar anblies; sie
hörte schweigend meine Fragen an, verstand natürlich nichts davon und
öffnete mir schweigend die Tür zu dem anstoßenden Zimmer, einem
ebenfalls kleinen, furchtbar niedrigen Raum; hier standen nur die
notwendigsten Möbel, und zwar von sehr schlechter Art, und ein
gewaltiges, breites, mit Vorhängen versehenes Bett, auf welchem
›Terentjitsch‹ (so rief ihn die Frau) lag, wie mir schien, in
betrunkenem Zustand. Auf dem Tisch brannte ein Lichtstümpfchen in einem
eisernen Nachtleuchter; auch stand dort eine fast geleerte Flasche
Branntwein. Terentjitsch brummte, ohne aufzustehen, mir etwas zu und
wies mit der Hand nach einer Tür; die Frau war weggegangen, so daß mir
weiter nichts übrigblieb, als diese Tür zu öffnen. Das tat ich denn
auch und trat in das folgende Zimmer.
Dieses Zimmer war noch schmaler und enger als das vorhergehende, so
daß ich nicht einmal wußte, wie ich mich darin umdrehen sollte; ein
schmales, einschläfriges Bett in der Ecke nahm einen großen Teil des
Raumes in Anspruch; von andern Möbeln war weiter nichts vorhanden als
drei einfache Stühle, die mit allerlei Lumpenkram bepackt waren, und
ein ganz einfacher hölzerner Küchentisch vor einem alten Wachstuchsofa,
so daß man zwischen dem Tisch und dem Bett kaum durchgehen konnte. Auf
dem Tisch brannte ein Talglicht auf einem ebensolchen Leuchter wie im
ersten Zimmer, und auf dem Bett quäkte ein ganz kleines Kind, nach dem
Schreien zu urteilen vielleicht erst drei Wochen alt; eine kranke,
blasse, anscheinend noch junge Frau in tiefem Negligé, die vielleicht
nach der Entbindung eben erst wieder angefangen hatte aufzustehen, war
damit beschäftigt, das Kind mit trockenen Windeln zu versehen; aber das
Kind wollte sich nicht beruhigen und schrie in Erwartung der mageren
Mutterbrust weiter. Auf dem Sofa schlief ein anderes Kind, ein
dreijähriges Mädchen, das, wie es
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