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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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Hustenanfall zum Ausbruch, daß ich mich
kaum auf den Füßen halten konnte. Ich sah, wie der Herr nach allen
Seiten umherstürzte, um für mich einen leeren Stuhl zu finden, wie er
endlich die auf dem einen Stuhl liegenden Lumpen packte, sie auf den
Fußboden warf, mir eilig den Stuhl reichte und mir vorsichtig
behilflich war, mich darauf zu setzen. Aber mein Husten dauerte fort
und beruhigte sich erst nach etwa drei Minuten. Als ich wieder zu mir
kam, saß er schon neben mir auf einem anderen Stuhl, von dem er
wahrscheinlich ebenfalls die Lumpen auf den Fußboden geworfen hatte,
und betrachtete mich unverwandt.
    ›Sie scheinen leidend zu sein?‹ sagte er in dem Ton, in dem
gewöhnlich die Ärzte reden, wenn sie zu einem Kranken kommen. ›Ich
selbst bin Mediziner‹ (er sagte nicht: Arzt), und bei diesen Worten
wies er zu irgendwelchem Zweck mit der Hand auf das Zimmer hin, wie
wenn er gegen seine jetzige Lage protestierte. ›Ich sehe, daß Sie ...‹
    ›Ich bin schwindsüchtig‹, sagte ich möglichst kurz und stand auf.
    Er sprang ebenfalls auf.
    ›Vielleicht sehen Sie die Sache zu schwarz an, und ... bei Anwendung geeigneter Mittel ...‹
    Er war in größter Verwirrung und schien seine Fassung immer noch
nicht wiedergewinnen zu können; die Brieftasche hielt er in der linken
Hand.
    ›Oh, beunruhigen Sie sich nicht!‹ unterbrach ich ihn und griff
wieder nach der Türklinke; ›in der vorigen Woche hat mich B...n
untersucht‹ (ich brachte also wieder B...n hinein), ›und mein Fall
liegt ganz klar. Entschuldigen Sie nur ...‹
    Ich wollte wieder die Tür öffnen und meinen verlegenen, dankbaren,
beschämten Arzt verlassen; aber der nichtswürdige Husten befiel mich in
diesem Augenblick von neuem. Nun bestand mein Arzt darauf, daß ich
wieder Platz nähme und mich erholte; er wandte sich zu seiner Frau, und
diese sagte mir, ohne ihren Platz zu verlassen, ein paar dankbare,
höfliche Worte. Sie wurde dabei sehr verlegen, so daß sogar eine Röte
auf ihren blaßgelben, hageren Wangen spielte. Ich blieb; nahm aber
dabei eine Miene an, die in jedem Augenblick zeigte, daß ich sehr
fürchtete, sie zu genieren. (Das war auch das Richtige.) Mein Arzt
wurde schließlich von peinlicher Reue gequält; das sah ich.
    ›Wenn ich ...‹, begann er, fortwährend abbrechend und in andere
Konstruktion übergehend. ›Ich bin Ihnen so dankbar und habe mir so viel
gegen Sie zuschulden kommen lassen ... ich ... Sie sehen ...‹, er
zeigte wieder auf das Zimmer, ›ich befinde mich augenblicklich in einer
solchen Lage ...‹
    ›Oh‹, sagte ich, ›da ist nichts dabei; das ist nichts
Ungewöhnliches. Sie haben wohl Ihre Stelle verloren und sind
hergekommen, um sich vor den maßgebenden Persönlichkeiten zu
rechtfertigen und eine neue Stelle zu suchen?‹
    ›Woher ... woher wissen Sie das?‹ fragte er erstaunt.
    ›Das sieht man auf den ersten Blick‹, antwortete ich, unwillkürlich
in spöttischem Ton. ›Es kommen viele aus der Provinz hoffnungsvoll
hierher, laufen hier herum und führen ein ebensolches Leben wie Sie.‹
    Er fing auf einmal an, mit zitternden Lippen lebhaft zu reden; er
beklagte sich über das, was ihm wider fahren war, erzählte alles
ausführlich und erregte, wie ich bekennen muß, mein Interesse; ich saß
bei ihm fast eine Stunde. Er erzählte mir seine Geschichte, die
übrigens von ganz gewöhnlicher Art war. Er war Arzt in der Provinz
gewesen und hatte ein staatliches Amt bekleidet; aber da hatten nun
Intrigen begonnen, in die auch seine Frau mit hineingezogen worden war.
Er hatte seinen Stolz herausgekehrt und sich hitzköpfig benommen; bei
der Gouvernementsbehörde war eine für seine Feinde günstige
Personalveränderung eingetreten; sie hatten gegen ihn miniert und
Beschwerden über ihn eingereicht; er hatte seine Stelle verloren und
war, seine letzten Mittel zusammennehmend, nach Petersburg gekommen, um
sich zu rechtfertigen; in Petersburg hatte man, nach dem bekannten
Verfahren, ihm lange Zeit überhaupt kein Gehör gegeben, dann ihn
angehört, dann ihn abschlägig beschieden, dann ihm lockende
Versprechungen gemacht, dann ihm scharf und streng geantwortet, dann
ihn aufgefordert, eine Rechtfertigungsschrift zu verfassen, dann deren
Annahme verweigert, ihn aufgefordert, eine Bittschrift einzureichen –
kurz, er war hier schon über vier Monate herumgelaufen und hatte all
seine Mittel aufgezehrt; die letzten Sachen seiner Frau waren ins
Leihhaus gewandert, und nun war das Kind geboren, und ...

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