Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Vom Netzwerk:
weggegangen.
Der General wohnt dauernd bei Lebedjew; jetzt ist er ebenfalls
weggegangen ... Lebedjew wird vielleicht gleich zu Ihnen kommen; er
sucht Sie, ich weiß nicht weswegen, und hat schon zweimal nach Ihnen
gefragt. Sollen wir ihn hereinlassen oder nicht, wenn Sie sich jetzt
schlafen legen wollen? Ich will mich auch hinlegen und schlafen. Ach
ja, eines wollte ich Ihnen noch erzählen: ich habe mich vorhin über den
General gewundert. Burdowski weckte mich zwischen sechs und sieben oder
genauer kurz nach sechs, damit ich die Wache übernähme. Ich ging für
einen Augenblick hinaus und stieß plötzlich auf den General, der noch
so betrunken war, daß er mich nicht erkannte; er stand wie ein
Holzpfahl vor mir. Als er dann seine Gedanken einigermaßen gesammelt
hatte, fuhr er ordentlich auf mich los mit der Frage: ›Was macht der
Kranke? Ich bin hergekommen, um mich nach dem Kranken zu erkundigen
...‹ Ich berichtete ihm dies und das. ›Das ist ja schön‹, sagte er;
›aber ich bin hauptsächlich hergekommen und deswegen aufgestanden, um
dich zu warnen; ich habe Grund zu der Vermutung, daß man in Herrn
Ferdyschtschenkos Gegenwart nicht alles sagen darf und ... sich vor ihm
hüten muß.‹ Können Sie das verstehen, Fürst?«
    »Eigentümlich; übrigens kann es uns ja ganz gleichgültig sein.«
    »Ja, zweifellos kann es uns ganz gleichgültig sein; wir sind ja
keine Freimaurer! Aber ich habe mich höchlichst darüber gewundert, daß
der General deswegen in der Nacht hinkam und mich wecken wollte.«
    »Sie sagen, Ferdyschtschenko ist weggegangen?«
    »Ja, um sieben Uhr; er kam noch für einen Augenblick zu mir heran;
ich hatte die Wache. Er sagte, er wolle zu Wilkin gehen und bei dem
weiterschlafen; das ist ein arger Trunkenbold, dieser Wilkin. Na, nun
will ich gehen! Da kommt auch Lukjan Timofejewitsch ... Der Fürst will
schlafen, Lukjan Timofejewitsch; also kehrt, marsch!«
    »Nur auf eine Minute, hochverehrter Fürst, in einer meiner Ansicht
nach wichtigen Angelegenheit«, sagte der eintretende Lebedjew halblaut
in ernstem Ton und verbeugte sich würdevoll.
    Er war eben erst zurückgekehrt und noch nicht einmal in seine Wohnung gegangen, so daß er den Hut noch in der Hand hielt.
    Sein Gesicht war sorgenvoll und trug einen besonderen, ungewöhnlichen Ausdruck von selbstbewußter Würde.
    Der Fürst forderte ihn auf, Platz zu nehmen.
    »Sie haben schon zweimal nach mir gefragt? Sie beunruhigen sich vielleicht immer noch wegen des gestrigen Vorfalls?«
    »Sie meinen in bezug auf den Jungen, der uns gestern in Erregung
versetzte, Fürst? O nein, nein; gestern waren mir meine Gedanken in
Unordnung geraten ... aber heute habe ich nicht mehr vor, Ihre
Anordnungen irgendwie zu konterkarieren.«
    »Konterka ... Wie sagten Sie?«
    »Ich sagte: konterkarieren; ein französisches Wort, wie viele
andere, das in den russischen Sprachschatz aufgenommen worden ist; aber
ich will es nicht sonderlich verteidigen.«
    »Sie benehmen sich ja heute so würdevoll und zeremoniös, Lebedjew, und reden so bedächtig«, sagte der Fürst lächelnd.
    »Nikolai Ardalionowitsch!« wandte sich Lebedjew an Kolja in einem
Ton, der beinah gerührt klang; »ich habe dem Fürsten eine besondere
Sache mitzuteilen: sie betrifft eigentlich ...«
    »Nun, ja, selbstverständlich, selbstverständlich; was geht es mich
an? Auf Wiedersehen, Fürst!« sagte Kolja und entfernte sich sogleich.
    »Ich habe den Knaben wegen seiner schnellen Auffassung gern«, bemerkte Lebedjew, indem er ihm nachsah.
    »Ein gewandter Junge, nur etwas zudringlich. Es ist mir ein
außerordentliches Unglück widerfahren, hochgeehrter Fürst: gestern
abend oder heute frühmorgens ... ich bin noch nicht imstande, die Zeit
genau anzugeben ...«
    »Was ist denn geschehen?«
    »Es sind mir vierhundert Rubel aus der Seitentasche abhanden
gekommen, hochgeehrter Fürst; eine nette Geschichte!« fügte Lebedjew
mit einem sauren Lächeln hinzu.
    »Sie haben vierhundert Rubel verloren? Das ist sehr bedauerlich.«
    »Und besonders, wo es einen armen Menschen betroffen hat, der ehrenhaft von seiner Arbeit lebt.«
    »Gewiß, gewiß; aber wie ist denn das zugegangen?«
    »Es ist eine Folge des Weingenusses. Ich wende mich an Sie wie an
die Vorsehung, hochgeehrter Fürst. Ich empfing gestern um fünf Uhr
nachmittags eine Summe von vierhundert Rubeln von einem Schuldner und
kehrte mit dem Zug hierher zurück. Die Brieftasche mit dem Geld hatte
ich in der Tasche. Als ich die Uniform mit

Weitere Kostenlose Bücher