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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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ihre Töchter geweckt. Von dem
Dienstmädchen hatten sie dann erfahren, Aglaja Iwanowna sei schon vor
sieben Uhr in den Park gegangen. Die jungen Mädchen hatten über die
neue Laune ihres romantisch veranlagten Schwesterchens gelächelt und
der Mama bemerkt, Aglaja werde es am Ende noch übelnehmen, wenn diese
in den Park ginge, um sie zu suchen; sie sitze jetzt gewiß mit einem
Buch auf der grünen Bank, von der sie noch vor drei Tagen gesprochen
und um derentwillen sie sich beinah mit dem Fürsten Schtsch. gezankt
habe, weil dieser an der Lage der Bank nichts Besonderes habe finden
können. Als Lisaweta Prokofjewna den Fürsten und Aglaja bei dem
Rendezvous getroffen und die sonderbaren Worte der letzteren gehört
hatte, war sie aus diesen Ursachen sehr erschrocken gewesen; aber als
sie nun den Fürsten mit nach Hause genommen hatte, tat es ihr in einer
Anwandlung von Feigheit leid, daß sie die Sache angefangen hatte; was
war denn dabei, wenn Aglaja den Fürsten im Park traf und sich mit ihm
unterhielt, selbst wenn es ein vorher verabredetes Rendezvous war?
    »Glaube nicht, lieber Freund«, begann sie endlich, Mut fassend, »daß
ich dich hierher geschleppt habe, um dich einem Verhör zu unterwerfen
... Nach dem gestrigen Abend hatte ich vielleicht überhaupt für lange
Zeit nicht den Wunsch, mit dir zusammenzukommen, mein Bester ...«
    Sie stockte ein wenig.
    »Aber doch möchten Sie gern wissen, wie es zugegangen ist, daß ich
jetzt mit Aglaja Iwanowna zusammen war?« sprach der Fürst ihren
Gedanken sehr ruhig zu Ende.
    »Nun ja, gewiß möchte ich das gern!« versetzte Lisaweta Prokofjewna
auffahrend. »Ich fürchte mich nicht, offen zu reden; denn ich kränke
niemand und beabsichtige niemand zu kränken ...«
    »Aber ich bitte Sie, von Kränkung kann ja nicht die Rede sein; es
ist ja sehr natürlich, daß Sie als Mutter das zu erfahren wünschen. Ich
habe mich heute morgen mit Aglaja Iwanowna bei der grünen Bank Punkt
sieben Uhr getroffen, und zwar infolge einer gestrigen Aufforderung von
ihrer Seite. Sie ließ mich gestern abend durch ein Billett wissen, daß
sie mit mir zusammenkommen und mit mir über eine wichtige Angelegenheit
sprechen müsse. Wir haben uns demzufolge getroffen und eine ganze
Stunde lang über Dinge gesprochen, die ausschließlich Aglaja Iwanowna
angehen. Das ist alles.«
    »Natürlich wird das alles sein, lieber Freund, ohne allen Zweifel«, erwiderte Lisaweta Prokofjewna mit würdevoller Miene.
    »Sehr gut, Fürst!« sagte Aglaja, die plötzlich ins Zimmer trat. »Ich
danke Ihnen von ganzem Herzen dafür, daß Sie auch mich für unfähig
gehalten haben, mich durch eine Lüge zu erniedrigen. Haben Sie nun
genug gehört, Mama, oder beabsichtigen Sie, das Verhör noch weiter
fortzusetzen?«
    »Du weißt, daß ich bisher noch nie vor dir habe zu erröten brauchen,
obwohl du dich vielleicht darüber freuen würdest«, antwortete Lisaweta
Prokofjewna tadelnd. »Lebe wohl, Fürst; verzeih, daß ich dir Umstände
gemacht habe! Ich hoffe, du bist nach wie vor von meiner
unveränderlichen Hochachtung gegen dich überzeugt.«
    Der Fürst verbeugte sich sofort nach beiden Seiten und entfernte
sich schweigend. Alexandra und Adelaida lächelten und flüsterten
miteinander. Lisaweta Prokofjewna warf ihnen einen strengen Blick zu.
    »Wir amüsieren uns nur darüber, Mama«, sagte Adelaida lachend, »daß
der Fürst so wundervolle Verbeugungen machte; manchmal ist er plump wie
ein Sack und nun auf einmal so gewandt wie ... wie Jewgeni Pawlowitsch.«
    »Zartgefühl und Würde lehrt uns das Herz und nicht der Tanzmeister«,
versetzte Lisaweta Prokofjewna in Form einer allgemeinen Sentenz,
beendete damit das Gespräch und ging in ihr Zimmer hinauf, ohne Aglaja
auch nur anzusehen.
    Als der Fürst in seine Wohnung zurückkehrte (es war schon gegen neun
Uhr), fand er in der Veranda Wjera Lukjanowna und das Dienstmädchen
vor. Beide räumten zusammen auf und fegten nach der gestrigen Unordnung
aus.
    »Gott sei Dank! Wir sind noch gerade vor Ihrer Rückkehr fertig geworden!« sagte Wjera erfreut.
    »Guten Morgen; mir ist ein wenig schwindlig; ich habe schlecht geschlafen; ich möchte es jetzt noch ein bißchen nachholen.«
    »Hier in der Veranda, wie gestern? Schön! Ich werde allen sagen, daß sie Sie nicht wecken sollen. Papa ist weggegangen.«
    Das Dienstmädchen ging hinaus; Wjera war schon im Begriff ihr zu
folgen, wendete sich aber noch einmal um und trat mit besorgter Miene
an den Fürsten

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