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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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fürchte für die Menschen. Wen
haben Sie denn im Verdacht?«
    »Das ist eine schwierige Frage und ... eine sehr verwickelte Frage!
Das Dienstmädchen kann ich nicht im Verdacht haben; die hat sich die
ganze Zeit über in ihrer Küche aufgehalten. Meine eigenen Kinder
ebenfalls nicht.«
    »Am Ende gar!«
    »Also müßte es einer der Gäste gewesen sein.«
    »Aber ist das möglich?«
    »Das ist völlig unmöglich, ganz und gar unmöglich; aber es muß doch
unter allen Umständen der Fall sein. Ich will jedoch zugeben und bin
sogar davon überzeugt, daß, wenn ein Diebstahl stattgefunden hat, er
nicht am Abend ausgeführt ist, als alle zusammen waren, sondern erst in
der Nacht oder gar erst gegen Morgen, von einem der hier
Übernachtenden.«
    »Ach, mein Gott!«
    »Burdowski und Nikolai Ardalionowitsch nehme ich natürlich aus; die sind überhaupt nicht zu mir hereingekommen.«
    »Am Ende gar! Und selbst wenn sie hereingekommen wären! Wer hat bei Ihnen übernachtet?«
    »Mich mitgezählt, waren wir unser vier Personen, die in zwei
nebeneinander liegenden Zimmern übernachteten: ich, der General, Keller
und Herr Ferdyschtschenko. Also muß es einer von uns vieren gewesen
sein!«
    »Das heißt, einer von den dreien; aber wer denn?«
    »Um der Gerechtigkeit und guten Ordnung willen habe ich auch mich
selbst mitgezählt; aber Sie werden zugeben müssen, Fürst, daß ich mich
nicht wohl selbst bestehlen konnte, obgleich solche Fälle allerdings in
der Welt schon vorgekommen sind ...«
    »Ach, Lebedjew, wie langweilig das ist!« rief der Fürst ungeduldig.
»Kommen Sie doch zur Sache, und ziehen Sie die Vorreden nicht in die
Länge ...«
    »Es bleiben also drei Personen übrig. Da ist erstens Herr Keller,
ein Mensch ohne festen Wohnsitz, ein trunksüchtiger Mensch und in
manchen Dingen fortschrittlich gesinnt, das heißt, wo es darauf
ankommt, aus anderer Leute Tasche zu leben; im übrigen aber sind seine
Neigungen sozusagen mehr altritterlicher als fortschrittlicher Art. Er
übernachtete anfangs im Zimmer des Kranken und kam erst in der Nacht zu
uns herüber, mit der Begründung, es sei ihm nicht möglich, auf dem
harten Fußboden zu schlafen.«
    »Haben Sie ihn im Verdacht?«
    »Ich hatte ihn allerdings im Verdacht. Als ich zwischen sieben und
acht Uhr morgens wie ein Halbverrückter aufsprang und mich vor die
Stirn schlug, da weckte ich sogleich den General, der den Schlaf der
Unschuld schlief. Nachdem wir über Ferdyschtschenkos sonderbares
Verschwinden unsere Betrachtungen angestellt hatten, ein Umstand, der
schon an und für sich unsern Verdacht erweckte, entschieden wir beide
uns sofort dafür, Keller zu visitieren, der wie ... wie ... beinah wie
ein Holzklotz dalag. Wir visitierten ihn vollständig: in den Taschen
fand sich kein Groschen, und nicht eine einzige Tasche war ohne Löcher.
Inhalt: ein baumwollenes, blaukariertes Taschentuch in unanständigem
Zustand; ferner ein Liebesbrief von einem Stubenmädchen, enthaltend
Geldforderungen und Drohungen, und Fetzen des Ihnen bekannten
Feuilletons. Der General gab sein Urteil dahin ab, daß Keller
unschuldig sei. Zum Zweck völliger Vergewisserung weckten wir ihn
selbst, was uns nur mit Mühe durch viele Püffe gelang; er begriff nur
schwer, um was es sich handelte, und sperrte erstaunt den Mund auf. Das
betrunkene Aussehen, der alberne, unschuldige, ja dumme
Gesichtsausdruck – er war es nicht gewesen!«
    »Nun, da freue ich mich!« rief der Fürst, freudig aufatmend. »Ich hatte schon für ihn gefürchtet!«
    »Gefürchtet? Also hatten Sie schon einen Grund dazu?« fragte Lebedjew, die Augen zusammenkneifend.
    »O nein, ich redete das nur so hin!« erwiderte der Fürst hastig.
»Ich habe mich furchtbar dumm ausgedrückt, wenn ich sagte, ich hätte
für ihn gefürchtet. Tun Sie mir den Gefallen, Lebedjew, und sagen Sie
das niemandem weiter!«
    »Aber Fürst, Fürst! Ihre Worte ruhen in meinem Herzen ... in der
Tiefe meines Herzens ... wie in einem Grab!« rief Lebedjew pathetisch
und drückte den Hut gegen sein Herz.
    »Schon gut, schon gut ... Also dann war es Ferdyschtschenko? Das heißt, ich meine, Sie haben Ferdyschtschenko im Verdacht?«
    »Wen sonst?« sagte Lebedjew leise, indem er den Fürsten prüfend ansah.
    »Nun ja, selbstverständlich ... wen denn sonst ... das heißt, was haben Sie für Beweise dafür?«
    »Beweise habe ich schon. Erstens das Verschwinden um sieben Uhr oder sogar noch vor sieben Uhr morgens.«
    »Ich weiß, Kolja hat mir gesagt, daß er

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