Der Idiot
ihn weckte, dermaßen
bestürzt, daß er die Farbe wechselte und bald rot, bald blaß wurde und
schließlich in eine so empörte, edle Aufregung geriet, wie ich sie in
solchem Maß gar nicht von ihm erwartet hatte. Ein höchst edeldenkender
Mensch! Er lügt zwar fortwährend, aus Schwäche, ist aber von den
erhabensten Gefühlen erfüllt; und dabei ist er ein Mann von geringer
geistiger Begabung, der durch seine Harmlosigkeit das größte Vertrauen
einflößt. Ich habe Ihnen schon gesagt, hochgeehrter Fürst, daß ich
nicht nur eine gewisse Schwäche für ihn habe, sondern ihn sogar liebe.
Auf einmal blieb er mitten auf der Straße stehen, knöpfte sich den Rock
auf und entblößte seine Brust: ›Visitiere mich!‹ sagte er, ›du hast
Keller visitiert; warum visitierst du mich nicht? Das verlangt‹, sagte
er, ›die Gerechtigkeit!‹ Dabei zitterten ihm die Arme und die Beine,
und er war ganz blaß geworden; ganz grimmig sah er aus. Ich fing an zu
lachen und sagte: ›Hör mal, General‹, sagte ich, ›wenn mir ein anderer
das von dir sagte, dann würde ich mir gleich auf der Stelle mit eigenen
Händen den Kopf abnehmen, ihn auf eine große Schüssel legen und ihn
selbst auf der Schüssel zu allen Zweiflern hintragen: Hier, würde ich
sagen, seht mal diesen Kopf an; also mit meinem eigenen Kopf hier
verbürge ich mich für ihn, und nicht nur den Kopf will ich daransetzen,
sondern auch dafür ins Feuer gehen! Siehst du‹, sagte ich, ›in dieser
Weise bin ich bereit, mich für dich zu verbürgen!‹ Da umarmte er mich
mitten auf der Straße, brach in Tränen aus, fing an zu zittern und
drückte mich so fest an seine Brust, daß ich heftig husten mußte. ›Du‹,
sagte er, ›bist der einzige Freund, der mir in meinem Unglück geblieben
ist!‹ Er ist ein gefühlvoller Mensch! Nun, selbstverständlich erzählte
er mir sofort unterwegs eine auf diesen Fall passende Geschichte, wie
er ebenfalls, noch als junger Mensch, einmal des Diebstahls von
fünfhunderttausend Rubeln verdächtigt worden sei; aber er habe sich
gleich am folgenden Tag in die Flammen eines brennenden Hauses gestürzt
und den Grafen, der ihn verdächtigt habe, sowie Nina Alexandrowna, die
damals noch Mädchen gewesen sei, aus dem Feuer herausgeschleppt. Der
Graf habe ihn umarmt, und auf diese Weise sei seine Ehe mit Nina
Alexandrowna zustande gekommen; gleich am nächsten Tag aber habe man in
den Brandruinen auch die Schatulle mit dem vermißten Geld gefunden; es
sei eine eiserne Schatulle gewesen, von englischer Arbeit, mit einem
Geheimschloß, und sie sei auf irgendeine Weise unter den Fußboden
geraten gewesen, so daß niemand sie habe bemerken können und sie nur
durch diese Feuersbrunst wieder zutage gekommen sei. Alles die reine
Lüge! Aber als er auf Nina Alexandrowna zu sprechen kam, da schluchzte
er sogar. Nina Alexandrowna ist eine höchst edeldenkende Dame, obwohl
sie auf mich böse ist.«
»Sind Sie mit ihr bekannt?«
»So gut wie gar nicht; aber ich würde es von ganzem Herzen wünschen,
wenn auch nur um mich vor ihr zu rechtfertigen. Nina Alexandrowna ist
auf mich schlecht zu sprechen, weil sie meint, ich richte ihren Gatten
durch Verführung zum Trinken zugrunde. Aber weit entfernt ihn zu
verführen, zähme ich vielmehr diese seine Leidenschaft; ich halte ihn
vielleicht von verderblicherer Gesellschaft zurück. Zudem ist er mein
Freund, und ich bekenne Ihnen, ich werde ihn jetzt nicht mehr
verlassen, das heißt, sogar im allereigentlichsten Sinne: wo er
hingeht, da werde ich auch hingehen, weil man nur durch Einwirkung auf
seine Gefühle etwas mit ihm anfangen kann. Jetzt besucht er sogar seine
Hauptmannsfrau gar nicht mehr, wiewohl es ihn im geheimen zu ihr
hinzieht und er sogar manchmal nach ihr stöhnt, namentlich alle Morgen,
wenn er aufsteht und sich die Stiefel anzieht; ich weiß nicht, warum
gerade zu dieser Zeit. Geld besitzt er nicht, das ist das Malheur; und
ohne Geld kann er sich bei dieser Frau nicht blicken lassen. Hat er Sie
nicht um Geld gebeten, hochgeehrter Fürst?«
»Nein, das hat er nicht getan.«
»Er schämt sich. Er wollte es schon tun; er hat mir sogar gestanden,
daß er Sie mit seiner Bitte belästigen wolle; aber er schämt sich, weil
Sie ihm erst unlängst behilflich gewesen sind und er überdies glaubt,
Sie würden ihm nichts geben. Er hat mir als seinem Freund sein Herz
ausgeschüttet.«
»Und Sie geben ihm kein Geld?«
»Fürst! Hochgeehrter Fürst! Diesem Menschen würde ich nicht nur Geld
geben,
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