Der Idiot
er auf diese Art die helle Röte seines Gesichtes
motivieren konnte.
»Nicht wahr, nicht wahr?« rief der General, dessen Augen vor
Vergnügen blitzten. »Ein Knabe, ein Kind, das für die Gefahr kein
Verständnis hat, drängt sich durch die Menge, um das Gepränge, die
Uniformen, das Gefolge und schließlich den großen Mann zu sehen, von
dem es schon so viel Geschrei gehört hatte. Denn damals redeten alle
Leute mehrere Jahre lang nur von ihm. Die Welt war voll von diesem
Namen; ich hatte ihn sozusagen mit der Muttermilch eingesogen. Als
Napoleon in einer Entfernung von zwei Schritten an mir vorüberging,
fiel es ihm zufällig auf, wie ich ihn ansah; ich trug adlige Tracht und
war gut gekleidet. Ich war der einzige von dieser Art in der großen
Menge; Sie werden selbst zugeben ...«
»Ohne Zweifel mußte ihm das auffallen und ein Beweis dafür sein, daß
nicht alle geflüchtet, sondern daß auch Edelleute mit ihren Kindern
dageblieben waren.«
»Ganz richtig, ganz richtig! Er wollte die Bojaren für sich
gewinnen! Als er seinen Adlerblick auf mich richtete, mochten ihm wohl
auch meine Augen entgegenblitzen. ›Voilà un garçon bien éveillé!‹ sagte
er. ›Qui est ton père?‹ Ich antwortete ihm sofort, beinah atemlos vor
Aufregung: ›Ein General, der auf einem Schlachtfeld seines Vaterlandes
gefallen ist.‹ ›Le fils d'un boyard et d'un brave par-dessus le marché!
J'aime les boyards. M'aimes-tu, petit?‹ Auf diese schnelle Frage
antwortete ich ebenso schnell: ›Ein russisches Herz ist imstande, sogar
in einem Feind seines Vaterlandes den großen Mann zu erkennen!‹ Das
heißt, ich erinnere mich eigentlich nicht, ob ich mich buchstäblich so
ausdrückte ... ich war ein Kind ... aber dies war gewiß der Sinn!
Napoleon war überrascht; er dachte einen Augenblick nach und sagte zu
seinem Gefolge: ›Der Stolz dieses Kindes gefällt mir! Aber wenn alle
Russen so denken wie dieses Kind, dann ...‹ Er sprach den Satz nicht zu
Ende und ging in das Schloß hinein. Ich mischte mich sogleich unter das
Gefolge und lief ihm nach. In dem Gefolge traten die Leute vor mir
auseinander und hielten mich für einen Günstling. Aber all das nahm ich
nur flüchtig wahr ... Ich erinnere mich nur, daß der Kaiser, als er den
ersten Saal betrat, plötzlich vor dem Porträt der Kaiserin Katharina
stehenblieb, es lange nachdenklich betrachtete und endlich sagte: ›Das
war eine große Frau!‹, und dann weiter ging. Nach zwei Stunden kannten
mich schon alle im Schloß und im Kreml und nannten mich ›le petit
boyard‹. Nach Hause ging ich nur, um in der Nacht dort zu schlafen. Zu
Hause kamen sie fast von Sinnen. Schon zwei Tage darauf starb Napoleons
Kammerpage, der Baron de Basencour, der die Strapazen des Feldzuges
nicht hatte ertragen können. Napoleon erinnerte sich meiner; man holte
mich, brachte mich hin, ohne mir zu sagen, um was es sich handelte,
paßte mir die Uniform des Verstorbenen, eines zwölfjährigen Knaben, an,
und als man mich in der Uniform zum Kaiser geführt und er mir zugenickt
hatte, eröffnete man mir, daß ich der Gnade gewürdigt sei, zum
Kammerpagen Seiner Majestät ernannt zu werden. Ich freute mich; ich
hatte schon lange eine wirkliche warme Zuneigung zu ihm empfunden ...
nun, und dazu noch, wie Sie sich selbst sagen können, die glänzende
Uniform; das bedeutet für ein Kind viel ... Ich trug einen dunkelgrünen
Frack mit langen, schmalen Schößen, mit goldenen Knöpfen, mit roter
Verbrämung an den goldgestickten Ärmeln, mit hohem, stehendem, offenem,
goldbesticktem Kragen, auch an den Schößen war Stickerei; ferner weiße,
eng anliegende Beinkleider von sämischem Leder, eine weiß-seidene
Weste, seidene Strümpfe und Schnallenschuhe ... und, wenn der Kaiser
spazierenritt und ich mich unter dem Gefolge befand, hohe Reitstiefel.
Obgleich die Situation nicht glänzend war und man bereits ein
gewaltiges Unheil ahnte, wurde die Etikette doch nach Möglichkeit
beobachtet, und sogar um so peinlicher, je stärker die Besorgnis vor
diesem Unheil war.«
»Ja, gewiß ...«, murmelte der Fürst beinah fassungslos; »Ihre Memoiren würden ... sehr interessant sein.«
Der General trug natürlich das vor, was er schon gestern Lebedjew
erzählt hatte, und trug es daher sehr geläufig vor; aber an dieser
Stelle schielte er wieder mißtrauisch nach dem Fürsten hin.
»Meine Memoiren«, sagte er, indem er eine noch würdevollere Haltung
annahm; »ich soll meine Memoiren schreiben? Das hat mich
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