Der Idiot
sind, wie es scheint, sehr
religiös, was man jetzt bei einem jungen Menschen so selten an trifft«,
wandte er sich freundlich an den Fürsten Ljow Nikolajewitsch, der mit
offenem Mund zuhörte und immer noch ganz überrascht war; der Alte
wünschte offenbar, den Fürsten näher kennenzulernen; dieser begann ihn
aus gewissen Gründen sehr zu interessieren.
»Pawlischtschew war ein heller Geist und ein Christ, ein wahrer
Christ«, sagte der Fürst plötzlich; »wie konnte er nur einen
unchristlichen Glauben annehmen? Der Katholizismus ist geradezu ein
unchristlicher Glaube!« fügte er mit blitzenden Augen hinzu, indem er
vor sich hinschaute und alle Anwesenden gleichsam mit einem Blick
zusammenfaßte.
»Na, das ist denn doch zuviel gesagt«, murmelte der Alte und blickte Iwan Fjodorowitsch erstaunt an.
»Wieso soll denn der Katholizismus ein unchristlicher Glaube sein?«
fragte Iwan Petrowitsch, sich auf seinem Stuhl umwendend. »Und was für
ein Glaube ist er denn?«
»Erstens ist er ein unchristlicher Glaube!« erwiderte der Fürst in
großer Erregung und mit übermäßiger Schärfe. »Das ist das erste; und
zweitens ist der römische Katholizismus sogar schlimmer als der
Atheismus selbst; das ist meine Meinung! Ja, das ist meine Meinung! Der
Atheismus predigt nur das Nichts; aber der Katholizismus geht weiter:
er predigt einen entstellten Christus, einen durch Verleumdung und
Beschimpfung karikierten Christus, das reine Gegenteil von Christus! Er
predigt den Antichrist, das schwöre ich Ihnen, das versichere ich
Ihnen! Das ist meine persönliche, langgehegte Überzeugung, die mir
schon viel Pein bereitet hat ... Der römische Katholizismus glaubt, daß
ohne eine universale Herrschgewalt die Kirche auf Erden nicht bestehen
kann, und ruft: ›Non possumus!‹ Meiner Ansicht nach ist der römische
Katholizismus überhaupt kein Glaube, sondern einfach eine Fortsetzung
des weströmischen Kaisertums, und es ist bei ihm alles, vom Glauben
angefangen, dieser Idee untergeordnet. Der Papst hat ein Land in Besitz
genommen, einen irdischen Thron bestiegen und das Schwert ergriffen;
seitdem geht alles in dieser Art weiter; nur haben sie zum Schwert noch
die Lüge, die Intrige, den Betrug, den Fanatismus, den Aberglauben und
das Verbrechen hinzugefügt; sie haben mit den heiligsten,
aufrichtigsten, schlichtesten, wärmsten Empfindungen des Volkes
gespielt; alles, alles haben sie für Geld, für gemeine weltliche Macht
hingegeben. Und das wäre nicht die Lehre des Antichrists?! Wie hätte da
nicht der Atheismus von ihnen ausgehen sollen? Der Atheismus ist von
ihnen ausgegangen, geradezu aus dem römischen Katholizismus! Der
Atheismus hat zuallererst mit ihnen selbst angefangen: konnten sie denn
auch sich selbst Glauben schenken? Er gewann dann aus dem gegen sie
bestehenden Widerwillen Stärke; er ist ein Produkt ihrer Lüge und
geistigen Kraftlosigkeit! Der Atheismus! Bei uns sind es bisher nur die
höheren Schichten, die ihre Wurzel verloren haben und nicht mehr
glauben, wie Jewgeni Pawlowitsch neulich sehr schön gesagt hat; aber
dort, in Westeuropa, hören schon gewaltige Massen des eigentlichen
Volkes auf zu glauben, früher aus Unwissenheit und Unwahrhaftigkeit,
aber jetzt schon aus Fanatismus und aus Haß gegen die Kirche und gegen
das Christentum.«
Der Fürst hielt inne, um Atem zu schöpfen. Er hatte furchtbar
schnell gesprochen. Er war blaß und hatte keine Luft. Alle wechselten
Blicke miteinander; aber endlich begann der Alte herzlich zu lachen.
Fürst N. nahm seine Lorgnette heraus und betrachtete den Fürsten
unverwandt. Der deutsche Dichter kam aus seiner Ecke hervorgekrochen
und näherte sich mit einem unangenehmen Lächeln dem Tisch.
»Sie ü-ber-trei-ben sehr«, sagte Iwan Petrowitsch, dieses Wort in
die Länge ziehend, in etwas gelangweiltem Ton; es klang sogar so, als
ob er sich über etwas schämte; »auch in der dortigen Kirche gibt es
höchst achtungswerte, tu-gend-hafte Vertreter ...«
»Ich habe nie von einzelnen Vertretern der Kirche gesprochen. Ich
rede von dem, was das Wesen des römischen Katholizismus ausmacht; ich
rede von Rom. Kann denn eine Kirche vollständig verschwinden? Ich habe
das nie gesagt!«
»Einverstanden; aber all das ist bekannt und braucht daher nicht gesagt zu werden, und ... es gehört zur Theologie ...«
»O nein, o nein! Nicht nur zur Theologie, ich versichere es Ihnen,
nein! Das geht uns weit mehr an, als Sie meinen. Gerade darin besteht
unser ganzer Irrtum, daß wir
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