Der Idiot
außerstande, diesen
wilden Drang zu hemmen. Sie gingen schweigsam und redeten auf dem
ganzen Weg kaum ein Wort. Es fiel ihm nur auf, daß sie den Weg genau
kannte; und als er einen Umweg einschlagen wollte, weil da nicht so
viele Menschen gingen, und ihr dies vorschlug, hörte sie, sich
anscheinend zur Aufmerksamkeit zwingend, zu und antwortete kurz: »Es
ist ja ganz gleich!« Als sie schon ganz nahe bei Darja Alexejewnas Haus
waren, einem großen, alten Holzhaus, kam eine luxuriös gekleidete Dame
in Begleitung eines jungen Mädchens aus der Haustür; beide stiegen in
eine dort wartende elegante Equipage; sie lachten und redeten laut und
warfen den beiden Herankommenden keinen Blick zu, wie wenn sie sie gar
nicht bemerkten. Kaum war die Equipage weggefahren, als die Haustür
sich sofort zum zweiten Mal öffnete und Rogoschin, der schon gewartet
hatte, den Fürsten und Aglaja hereinließ und hinter ihnen die Tür
zuriegelte.
»Im ganzen Haus ist jetzt niemand außer uns vieren«, bemerkte er laut und sah den Fürsten seltsam an.
Im ersten Zimmer erwartete sie Nastasja Filippowna, gleichfalls sehr
einfach und ganz in Schwarz gekleidet; sie stand auf und kam ihnen
einige Schritte entgegen; aber sie lächelte nicht und reichte dem
Fürsten nicht einmal die Hand.
Ungeduldig hielt sie ihren unruhigen Blick auf Aglaja gerichtet.
Beide setzten sich hin, in einiger Entfernung voneinander, Aglaja in
einer Ecke des Zimmers auf das Sofa, Nastasja Filippowna am Fenster.
Der Fürst und Rogoschin setzten sich nicht und wurden auch gar nicht
aufgefordert, sich zu setzen. Der Fürst blickte wieder erstaunt und,
wie es schien, mit tiefem Schmerz Rogoschin an; aber dieser lächelte
immer noch ganz in seiner alten Art. Das Schweigen dauerte noch einige
Augenblicke.
Dann trat endlich ein unheilverkündender Ausdruck auf Nastasja
Filippownas Gesicht hervor; ihr Blick wurde starr, fest und haßerfüllt;
sie wandte ihn nicht einen Augenblick von ihrer Besucherin ab. Aglaja
war offenbar verwirrt, aber nicht etwa schüchtern. Beim Eintritt hatte
sie ihrer Nebenbuhlerin kaum einen Blick zugeworfen und dann die ganze
Zeit mit niedergeschlagenen Augen dagesessen, wie wenn sie in Gedanken
versunken wäre. Ein paarmal ließ sie wie von ungefähr ihren Blick durch
das Zimmer gleiten; auf ihrem Gesicht malte sich deutlich der
Widerwille, den sie empfand, als ob sie sich hier zu beschmutzen
fürchtete. Mechanisch brachte sie ihren Anzug in Ordnung und änderte
sogar einmal unruhig ihren Platz, indem sie in die Sofaecke rückte. Sie
war sich kaum selbst aller ihrer Bewegungen bewußt; aber gerade durch
diese Unbewußtheit wurde das Beleidigende, das in ihnen lag, noch
gesteigert. Endlich blickte sie ihrer Gegnerin fest und gerade in die
Augen und las sogleich klar alles, was in deren nichts Gutes
verheißendem Blick funkelte. Das Weib hatte das Weib verstanden; Aglaja
fuhr zusammen.
»Sie wissen gewiß, warum ich Sie zu einer Zusammenkunft eingeladen
habe«, sagte sie endlich, aber sehr leise; ja, sie stockte sogar ein
paarmal in diesem kurzen Satz.
»Nein, ich weiß nichts«, antwortete Nastasja Filippowna trocken und kurz.
Aglaja errötete. Vielleicht kam es ihr auf einmal sehr seltsam und
wunderlich vor, daß sie jetzt bei dieser Frau, im Haus »dieses Weibes«
saß und auf deren Antwort wartete. Beim ersten Ton von Nastasja
Filippownas Stimme ging es wie ein Zittern durch ihren Körper. Das
alles bemerkte »dieses Weib« natürlich sehr genau.
»Sie verstehen alles ... aber Sie stellen sich absichtlich, als
verständen Sie es nicht«, sagte Aglaja so leise, daß es beinahe nur ein
Flüstern war, und blickte mit finsterer Miene auf den Boden.
»Was könnte ich für Grund haben, das zu tun?« erwiderte Nastasja Filippowna leise lächelnd.
»Sie wollen aus meiner Lage Vorteil ziehen ... daß ich in Ihrem Haus bin«, fuhr Aglaja mit komischer Ungeschicklichkeit fort.
»An dieser Lage sind Sie schuld und nicht ich!« fuhr Nastasja
Filippowna auf einmal auf. »Nicht ich habe Sie eingeladen, sondern Sie
mich, und ich weiß bis auf diesen Augenblick noch nicht, warum.«
Aglaja hob den Kopf hochmütig in die Höhe.
»Halten Sie Ihre Zunge im Zaum; ich bin nicht hergekommen, um mit dieser Ihrer Waffe mit Ihnen zu kämpfen ...«
»Ah! Also sind Sie doch hergekommen, um zu kämpfen? Denken Sie sich, ich hatte geglaubt, Sie seien ... geistreicher ...«
Beide blickten einander schon mit unverhohlenem Zorn an. Die eine
dieser Frauen war
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