Der Idiot
Publikums, geleitet von Keller, der drohende
Blicke nach rechts und links richtete; dann verschwand der Fürst für
einige Zeit im Allerheiligsten. Keller aber begab sich fort, um die
Braut zu holen, und fand vor Darja Alexejewnas Haustür eine
Menschenmenge, die nicht nur zwei- oder dreimal so dicht war wie bei
dem Fürsten, sondern vielleicht auch dreimal so ausgelassen. Als er die
Stufen vor der Haustür hinanstieg, hörte er solche Bemerkungen, daß er
sich nicht beherrschen konnte und sich bereits zum Publikum umwandte
mit der Absicht, eine kräftige Ansprache zu halten; aber zum Glück
hielten Burdowski und Darja Alexejewna selbst, die die Stufen
hinuntergelaufen kam, ihn noch davon zurück; sie faßten ihn an und
zogen ihn mit Gewalt in die Wohnung hinein. Keller befand sich in
gereizter Stimmung und drängte zur Eile. Nastasja Filippowna erhob
sich, blickte noch einmal in den Spiegel, bemerkte »mit einem schiefen
Lächeln«, wie Keller nachher erzählte, daß sie leichenblaß aussehe,
verbeugte sich andächtig vor dem Heiligenbild und ging hinaus vor die
Haustür. Ein dumpfes Gemurmel begrüßte ihr Erscheinen. Im ersten
Augenblick erscholl Gelächter, Beifallklatschen, vereinzeltes Pfeifen;
einen Augenblick darauf ließen sich auch mündliche Äußerungen vernehmen:
»So eine Schönheit!« wurde in der Menge gerufen.
»Sie ist nicht die erste und wird nicht die letzte sein!«
»Der Brautkranz deckt alles zu, ihr Dummköpfe!«
»Nein, so eine Schönheit kann man lange suchen; hurra!« riefen die Nächststehenden.
»Eine Fürstin! Um einer solchen Fürstin willen würde ich meine Seele
verkaufen!« rief ein Kanzlist. »Mein Leben gäbe ich hin für eine Nacht
...!«
Nastasja Filippowna war, als sie heraustrat, wirklich bleich wie
Leinwand; aber ihre großen schwarzen Augen funkelten die Menge an wie
glühende Kohlen; diesem Blick konnte die Menge nicht widerstehen; die
Entrüstung verwandelte sich in ein enthusiastisches Geschrei. Schon war
der Wagenschlag geöffnet, schon bot Keller der Braut den Arm, als sie
plötzlich aufschrie und sich von den Stufen vor der Haustür gerade in
die Volksmenge hineinstürzte. Alle ihre Begleiter standen starr vor
Staunen; die Menge trat vor ihr auseinander, und fünf oder sechs
Schritte von der Haustür entfernt erschien plötzlich Rogoschin. Sein
Blick war es gewesen, den Nastasja Filippowna in der Menge aufgefangen
hatte. Sie lief wie eine Wahnsinnige zu ihm hin und ergriff seine
beiden Hände.
»Rette mich! Schaffe mich weg! Wohin du willst, sofort!« Rogoschin
nahm sie beinahe auf die Arme und trug sie fast zum Wagen hin. Darauf
zog er in einem Augenblick aus seinem Portemonnaie einen
Hundertrubelschein und reichte ihn dem Kutscher hin.
»Nach dem Bahnhof, und wenn du noch zum Zug hinkommst, bekommst du noch einen Hunderter!«
Damit sprang er selbst hinter Nastasja Filippowna her in den Wagen
und warf den Schlag zu. Der Kutscher bedachte sich nicht einen
Augenblick und schlug auf die Pferde los. Keller schob nachher alles
auf das Überraschende des Vorgangs: »Noch eine Sekunde, und ich hätte
mich gefaßt gehabt, und dann hätte ich es nicht geschehen lassen!«
erklärte er, als er das Begebnis erzählte. Er nahm sich schnell mit
Burdowski einen andern Wagen, der zufällig dort stand, und machte sich
auf die Verfolgung; aber er wurde, als sie schon unterwegs waren,
andern Sinnes. »Es ist jedenfalls zu spät!« sagte er. »Mit Gewalt kann
man sie nicht wiederholen!«
»Auch der Fürst würde es nicht wollen!« bemerkte der tief ergriffene Burdowski.
Rogoschin und Nastasja Filippowna kamen noch rechtzeitig zum
Bahnhof. Nachdem sie aus dem Wagen ausgestiegen waren, fand Rogoschin,
fast schon im Begriff, in den Zug zu steigen, doch noch Zeit, ein
vorübergehendes Mädchen in einer alten, aber anständigen, dunklen
Mantille und einem Kopftuch anzuhalten.
»Wollen Sie mir für fünfzig Rubel Ihre Mantille überlassen?« fragte er, indem er dem Mädchen das Geld hinhielt.
Während das Mädchen noch staunte und vergeblich den Zusammenhang zu
begreifen suchte, hatte er ihr schon einen Fünfzigrubelschein in die
Hand geschoben, ihr die Mantille nebst dem Tuch abgenommen und beides
Nastasja Filippowna über die Schultern und den Kopf geworfen. Ihre so
prächtige Toilette fiel in die Augen und würde im Waggon die allgemeine
Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben; und erst nachher verstand das
Mädchen, warum ihr jemand mit solchem Profit für sie ihre
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