Der Idiot
bei Parfen Semjonowitsch habe ich geklingelt, aber es wurde
nicht geöffnet.«
»Vielleicht ist er auch ausgegangen«, meinte der Hausknecht. »Er
meldet es nicht an. Manchmal nimmt er auch den Schlüssel mit; dann
bleibt die Wohnung drei Tage lang verschlossen.«
»Daß er gestern zu Hause war, weißt du bestimmt?«
»Ja, er war zu Hause. Manchmal kommt er vom Haupteingang her; dann sieht ihn unsereiner gar nicht.«
»Und Nastasja Filippowna kam gestern nicht mit ihm?«
»Das weiß ich nicht. Sie pflegt nicht oft zu kommen; ich meine, wenn sie gekommen wäre, würde ich es wissen.«
Der Fürst ging hinaus und wanderte eine Weile in Gedanken versunken
auf dem Trottoir hin und her. Die Fenster der von Rogoschin bewohnten
Zimmer waren sämtlich geschlossen; die Fenster der von seiner Mutter
bewohnten Seite standen fast alle offen. Es war ein heller, heißer Tag;
der Fürst ging quer über die Straße nach dem gegenüberliegenden
Trottoir hinüber, stellte sich dort hin und blickte noch einmal nach
den Fenstern: sie waren nicht nur geschlossen, sondern es waren auch
fast bei allen die weißen Rouleaus heruntergelassen.
Er stand ein Weilchen da, und (seltsam!) auf einmal schien es ihm,
als ob der Rand eines Rouleaus ein wenig zur Seite geschoben und
Rogoschins Gesicht einen Augenblick sichtbar würde und sofort wieder
verschwände. Er wartete noch eine kurze Zeit und wollte schon hingehen
und noch einmal klingeln, änderte aber dann seine Absicht und verschob
es um eine Stunde: »Wer weiß«, dachte er, »vielleicht ist es mir nur so
vorgekommen ...« Vor allen Dingen eilte er jetzt nach der
Ismailowskaja-Straße, nach der Wohnung, welche Nastasja Filippowna noch
unlängst innegehabt hatte. Es war ihm bekannt, daß sie, als sie auf
seine Bitte vor drei Wochen aus Pawlowsk weggezogen war, sich in der
Ismailowskaja-Straße bei einer früheren guten Bekannten von ihr
einquartiert hatte, einer Lehrerwitwe und achtbaren Familienmutter, die
einen Teil ihrer Wohnung gut möbliert weitervermietete und davon fast
ganz lebte. Das Wahrscheinlichste war, daß Nastasja Filippowna, als sie
wieder nach Pawlowsk übersiedelte, die Wohnung weiterbehalten hatte;
wenigstens war sehr wahrscheinlich, daß sie jetzt in dieser Wohnung
übernachtet hatte, wohin sie gestern wohl von Rogoschin gebracht worden
war. Der Fürst nahm eine Droschke. Unterwegs kam ihm der Gedanke, daß
er hiermit hätte anfangen sollen, da es unwahrscheinlich sei, daß sie
in der Nacht direkt zu Rogoschin gefahren wäre. Dabei mußte er auch an
die Bemerkung des Hausknechts denken, daß Nastasja Filippowna nicht
häufig ins Haus gekommen sei. Wenn sie überhaupt nicht häufig hinkam,
aus welchem Grund sollte sie dann gerade jetzt bei Rogoschin eingekehrt
sein? Indem er sich mit diesen Tröstungen ermutigte, gelangte der Fürst
endlich in einem Mittelzustand zwischen Leben und Tod nach der
Ismailowskaja-Straße.
Zu seiner großen Überraschung hatte man bei der Lehrerwitwe weder am
vorhergehenden noch an diesem Tag etwas von Nastasja Filippowna gehört;
aber alle kamen herausgelaufen, um ihn selbst wie ein Wundertier
anzustaunen. Die ganze zahlreiche Familie der Lehrerwitwe, lauter
Mädchen, immer ein Jahr auseinander, im Alter von fünfzehn bis zu
sieben Jahren, strömte hinter der Mutter her heraus und umringte ihn
mit offenem Mund. Hinter ihnen kam auch ihre hagere, gelbe Tante mit
einem schwarzen Kopftuch heraus, und endlich erschien die Großmutter
der Familie, eine alte Dame mit einer Brille. Die Lehrerwitwe bat ihn
dringend, einzutreten und sich zu setzen, was der Fürst auch tat. Er
merkte sofort, daß ihnen vollständig bekannt war, wer er war, und daß
sie genau wußten, daß gestern seine Hochzeit hatte sein sollen, und nun
den brennenden Wunsch hatten, ihn nach der Hochzeit zu befragen und
eine Erklärung des wunderlichen Umstands zu erhalten, daß er sich jetzt
bei ihnen nach derjenigen erkundigte, die jetzt nirgends sonst als in
Pawlowsk mit ihm hätte zusammen sein sollen, daß aber ihr Taktgefühl
sie von diesen Fragen zurückhielt. In kurzen Zügen befriedigte er ihre
Neugier hinsichtlich der Hochzeit. Nun fingen sie an, ihr Erstaunen zu
äußern und »ach!« und »oh!« zu rufen, so daß er sich genötigt sah, auch
fast alles übrige zu erzählen, natürlich mit Beschränkung auf die
Hauptpunkte. Endlich kam das Konsilium der weisen, aufgeregten Damen zu
dem Schluß, der Fürst müsse unter allen Umständen und vor allen Dingen
sich den Zutritt
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