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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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alten
geringwertigen Kleidungsstücke abgekauft hatte.
    Das Gerücht von dem merkwürdigen Ereignis gelangte mit
außerordentlicher Schnelligkeit nach der Kirche. Als Keller zum Fürsten
hinkam, stürzten eine Menge ihm ganz unbekannter Leute auf ihn zu, um
ihn auszufragen. Man redete laut über die Sache, schüttelte den Kopf
und lachte sogar; niemand verließ die Kirche; alle warteten sie darauf,
wie der Bräutigam die Nachricht aufnehmen werde. Er wurde etwas blaß,
hörte aber die Mitteilung mit Ruhe an und sagte kaum hörbar:
»Befürchtungen hatte ich; aber ich hatte doch nicht gedacht, daß gerade
dies ...« Und dann fügte er nach kurzem Stillschweigen hinzu: »Übrigens
... bei ihrem Zustand ... ist das durchaus erklärlich.« Eine solche
Äußerung nannte nachher Keller selbst »beispiellos philosophisch«. Der
Fürst verließ die Kirche, anscheinend ruhig und gefaßt; wenigstens
hatten viele diesen Eindruck und erzählten es nachher. Wie es schien,
verlangte es ihn, nach Hause zu kommen und möglichst bald allein zu
sein; aber dieses letztere vergönnte man ihm nicht. Hinter ihm her
traten mehrere der Eingeladenen ins Zimmer, unter andern Ptizyn,
Gawrila Ardalionowitsch und mit ihnen auch der Arzt, der ebenfalls noch
nicht fortzugehen gedachte. Außerdem war das Haus von einer Schar von
Müßiggängern buchstäblich belagert. Als der Fürst noch in der Veranda
war, hörte er, wie Keller und Lebedjew in heftigen Streit mit einigen
ganz unbekannten, aber anscheinend dem Beamtenstand angehörigen Leuten
gerieten, die um jeden Preis in die Veranda einzudringen suchten. Der
Fürst trat zu den Streitenden hin, erkundigte sich, um was es sich
handle, schob Lebedjew und Keller höflich beiseite, wandte sich
liebenswürdig an einen schon grauhaarigen, behäbigen Herrn, der auf den
Stufen der Freitreppe an der Spitze mehrerer anderer Neugieriger stand,
und lud ihn ein, ob er nicht die Güte haben und ihm die Ehre seines
Besuches erweisen wolle. Der Herr wurde verlegen, trat aber doch näher;
ihm folgte ein zweiter und ein dritter. Unter dem ganzen Haufen fanden
sich sieben bis acht Menschen, die zu einem Besuch Lust hatten und
eintraten, wobei sie sich Mühe gaben, es möglichst ungeniert zu tun;
aber weiter bekundete niemand mehr Verlangen, und in der Menge selbst
begann man bald, die Vorwitzigen zu tadeln. Die Eingetretenen wurden
gebeten, Platz zu nehmen; ein Gespräch kam in Gang; es wurde Tee
gereicht: alles vollzog sich in sehr anständigen, gesitteten Formen, zu
großer Verwunderung der Eindringlinge. Allerdings wurden von diesen
einige Versuche unternommen, dem Gespräch eine heitere Wendung zu geben
und es auf das »richtige Thema« zu bringen; auch wurden einige
indiskrete Fragen gestellt und einige »geschickte« Bemerkungen gemacht.
Aber der Fürst antwortete allen so schlicht und freundlich und
gleichzeitig in so würdevoller Weise, mit solchem Vertrauen auf die
Anständigkeit seiner Gäste, daß die unbescheidenen Fragen ganz von
selbst verstummten. Allmählich begann das Gespräch beinah einen ernsten
Charakter anzunehmen. Ein etwas streitsüchtiger Herr beteuerte
plötzlich mit großer Entrüstung, er werde sein Gut jetzt nicht
verkaufen, was auch immer geschehen möge; er werde vielmehr den
richtigen Zeitpunkt abpassen; Unternehmungen seien besser als ruhendes
Kapital: »Sehen Sie, mein Herr, darin besteht meine wirtschaftliche
Methode; ich mache kein Geheimnis daraus.« Da er sich mit seiner
Bemerkung an den Fürsten gewandt hatte, so spendete dieser ihm warmen
Beifall, trotzdem Lebedjew ihm ins Ohr flüsterte, daß dieser Herr weder
Haus noch Hof besitze und niemals ein Gut gehabt habe. So war beinah
eine Stunde vergangen; der Tee war ausgetrunken, und nun wurde es den
Gästen doch endlich peinlich, noch länger dazubleiben. Der Arzt und der
grauhaarige Herr nahmen von dem Fürsten herzlichen Abschied; und auch
alle andern empfahlen sich freundlich und geräuschvoll. Gute Wünsche
wurden ausgesprochen sowie Ansichten von folgender Art: »Deswegen
braucht man den Kopf noch nicht hängenzulassen«, und: »Vielleicht ist
es so am besten«, und so weiter. Es wurden allerdings auch Versuche
gemacht, Champagner zu verlangen; aber die älteren unter den Gästen hielten die jüngeren
zurück. Als alle weggegangen waren, bog sich Keller zu Lebedjew hin und
sagte zu ihm: »Wir beide, du und ich, hätten ein großes Geschrei
erhoben, eine Schlägerei veranstaltet, uns unwürdig benommen und uns
die Polizei

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