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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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habe.«
    »Nein, das war kein vereinzelter Fall«, antwortete der Fürst leise, aber mit fester Stimme.
    »Aber ich bitte Sie, Lew Nikolajewitsch«, rief Fürst Schtsch. ein wenig ärgerlich, »sehen Sie denn nicht, daß er Ihnen eine Falle stellt? Er lacht sicher innerlich und beabsichtigt, sich gerade über Sie lustig zu machen.«
    »Ich glaubte, Jewgenij Pawlytsch spräche im Ernst«, versetzte der Fürst errötend und schlug die Augen nieder.
    »Lieber Fürst«, fuhr Fürst Schtsch. fort, »denken Sie doch an ein Gespräch, das wir beide einmal vor drei Monaten führten; wir sprachen namentlich darüber, daß es in unseren jungen, neueröffneten Gerichten bereits viele beachtenswerte, talentvolle Verteidiger gibt. Und wie viele im höchsten Grade beachtenswerte Urteile sind von unseren Geschworenen gefällt worden? Wie haben Sie selbst sich gefreut, und wie habe ich mich damals über Ihre Freude gefreut..., wir sagten, daß wir Anlaß hätten, stolz zu sein... Aber diese ungeschickte Verteidigung, dieses sonderbare Argument ist sicherlich nur etwas Zufälliges, ein vereinzelter Fall unter Tausenden.«
    Fürst Lew Nikolajewitsch dachte einen Augenblick nach, antwortete aber dann im Ton festester Überzeugung, wenn auch leise und gewissermaßen schüchtern:
    »Ich wollte nur sagen, daß diese Entstellung der Gedanken und Begriffe (wie sich Jewgenij Pawlytsch ausdrückte) sehr häufig begegnet und leider viel weiter verbreitet ist, als daß man sie einen vereinzelten Fall nennen könnte. Und sogar so sehr, daß, wenn diese Entstellung nicht ein so häufiger Fall wäre, es vielleicht auch nicht so unerhörte Verbrechen geben würde wie diese...«
    »Unerhörte Verbrechen? Aber ich versichere Ihnen, daß genau ebensolche Verbrechen und vielleicht noch schauderhaftere auch früher vorgekommen sind, immer vorgekommen sind, und nicht nur bei uns, sondern überall, und daß sie meines Erachtens sich noch sehr lange wiederholen werden. Der Unterschied besteht nur darin, daß sie früher weniger publik wurden, während man jetzt angefangen hat, laut von ihnen zu reden und sogar zu schreiben; daher entsteht nun der Anschein, als seien solche Verbrecher erst jetzt aufgetreten. Darin besteht Ihr Irrtum, ein sehr naiver Irrtum, Fürst, glauben Sie mir«, sagte Fürst Schtsch. lächelnd.
    »Ich weiß selbst, daß die Verbrechen auch früher sehr zahlreich und ebenso schrecklich waren; ich habe erst kürzlich mehrere Gefängnisse besucht, und es ist mir dabei gelungen, mit einer Anzahl von Verbrechern und Angeklagten bekannt zu werden. Es gibt sogar noch furchtbarere Verbrecher als jenen jungen Mann, Verbrecher, von denen ein jeder zehn Menschen ermordet hat, ohne irgendwelche Reue zu verspüren. Aber ein Punkt ist mir dabei aufgefallen: der verstockteste Mörder, der keine Reue empfindet, weiß doch, daß er ein Verbrecher ist, das heißt, er urteilt seinem Gewissen nach, daß er schlecht gehandelt hat, obwohl er nichts von Reue weiß. So denkt jeder von ihnen; aber diejenigen, von denen Jewgenij Pawlytsch gesprochen hat, wollen sich nicht für Verbrecher halten und meinen, sie hätten ein Recht gehabt und... hätten sogar gut gehandelt, das heißt, ungefähr so denken sie. Darin besteht meiner Ansicht nach der furchtbare Unterschied. Und beachten Sie, daß das lauter junge Leute sind, das heißt Leute in dem Lebensalter, in welchem man am leichtesten und schutzlosesten in eine Verdrehung der Anschauungen verfallen kann.«
    Fürst Schtsch. lachte nicht mehr und hörte dem Fürsten erstaunt zu. Alexandra Iwanowna, die schon lange etwas hatte sagen wollen, schwieg, als hielte ein besonderer Gedanke sie vom Reden zurück. Jewgenij Pawlowitsch aber sah den Fürsten mit unverhohlener Verwunderung und jetzt ohne eine Spur von Lächeln an.
    »Aber warum wundern Sie sich denn so über ihn, mein Herr?« mischte sich Lisaweta Prokofjewna unerwartet in das Gespräch. »Ist er etwa dümmer als Sie, weil sein Urteil von dem Ihrigen abweicht?«
    »Nein, so etwas denke ich nicht«, erwiderte Jewgenij Pawlowitsch. »Aber wie geht es denn zu, Fürst (entschuldigen Sie die Frage!), wenn Sie das alles so scharf beobachten und erkennen, wie geht es denn zu, daß Sie (ich bitte nochmals um Verzeihung) bei dieser sonderbaren Angelegenheit... ich meine das, was sich vor einigen Tagen ereignete... bei der Angelegenheit dieses Herrn – Burdowskij heißt er ja wohl... wie geht es denn zu, daß Sie da die ganz gleiche Verdrehung der Ideen und moralischen

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