Der Idiot
Anschauungen nicht bemerkten? Es war ja doch ganz genau dasselbe! Ich hatte damals den Eindruck, daß Sie es überhaupt nicht bemerkt hatten.«
»Ja, sehen Sie mal, Väterchen«, ereiferte sich Lisaweta Prokofjewna, »wir haben es damals alle bemerkt, und nun sitzen wir hier und brüsten uns damit vor ihm, aber er, er hat heute von einem dieser Leute einen Brief erhalten, von der eigentlichen Hauptperson, von dem mit den Pickeln im Gesicht, erinnerst du dich, Alexandra? In dem Brief bittet er ihn um Verzeihung, wenn auch so auf seine Art, und teilt ihm mit, daß er sich von jenem Kameraden, der ihn damals aufgehetzt hatte, losgesagt habe – du erinnerst dich doch, Alexandra? Und er glaube dem Fürsten jetzt mehr als jenem. Na, aber wir haben einen solchen Brief noch nicht erhalten, obgleich wir uns hier dem Fürsten gegenüber so hochnäsig benehmen.«
»Und Ippolit ist auch jetzt eben zum Fürsten in das Landhaus gezogen!« rief Kolja.
»Wie? Ist er schon hier?« fragte der Fürst aufgeregt.
»Gleich nachdem Sie mit Lisaweta Prokofjewna weggegangen waren, ist er eingetroffen; ich habe ihn hertransportiert!«
»Na, da möchte ich wetten«, fuhr Lisaweta Prokofjewna heftig auf, die ganz vergaß, daß sie den Fürsten einen Augenblick vorher gelobt hatte, »da möchte ich wetten, daß er gestern zu ihm hingefahren ist und ihn in seiner Dachkammer kniefällig um Verzeihung gebeten hat, damit diese boshafte Kanaille sich herablassen möchte, hierher überzusiedeln. Bist du gestern zu ihm hingefahren? Du hast ja neulich selbst bekannt, daß du es tun wolltest. Ja oder nein? Bist du vor ihm auf die Knie gefallen oder nicht?«
»Auf die Knie ist er ganz und gar nicht gefallen«, rief Kolja. »Ganz im Gegenteil: Ippolit hat gestern die Hand des Fürsten ergriffen und zweimal geküßt, das habe ich selbst gesehen, und damit endete die ganze Aussprache; der Fürst sagte nur noch ganz einfach, Ippolit werde sich in der Sommerfrische wohler fühlen, und der war sofort damit einverstanden überzusiedeln, sobald es ihm nur ein wenig besser gehen würde.«
»Sie hätten das nicht sagen sollen, Kolja...«, murmelte der Fürst, indem er aufstand und nach seinem Hut griff. »Warum erzählen Sie das? Ich...«
»Wohin willst du denn?« hielt ihn Lisaweta Prokofjewna zurück.
»Lassen Sie sich hier nicht stören, Fürst!« fuhr Kolja in seinem Feuereifer fort. »Gehen Sie nicht zu ihm hin, und beunruhigen Sie ihn nicht, er ist von der Fahrt ermüdet und eingeschlafen; er freut sich sehr; und wissen Sie, Fürst, meiner Ansicht nach ist es das beste, wenn Sie ihn jetzt nicht aufsuchen. Verschieben Sie es lieber auf morgen, sonst wird er wieder verlegen. Er hat heute vormittag zu mir gesagt, er habe sich schon seit einem halben Jahr nicht so wohl und kräftig gefühlt; er hustet sogar viel weniger.«
Der Fürst bemerkte, daß Aglaja plötzlich ihren Platz verließ und an den Tisch herantrat. Er wagte nicht, nach ihr hinzublicken, aber er fühlte mit seinem ganzen Wesen, daß sie ihn in diesem Augenblick ansah und vielleicht zornig ansah und daß in ihren schwarzen Augen jedenfalls ein Ausdruck des Unwillens lag und ihr Gesicht glühte.
»Ich glaube, Nikolai Ardalionowitsch, Sie haben nicht gut daran getan, ihn hierherzubringen, wenn es sich um jenen schwindsüchtigen jungen Menschen handelt, der damals zu weinen anfing und uns zu seinem Begräbnis einlud«, bemerkte Jewgenij Pawlowitsch. »Er sprach damals in so pathetischen Ausdrücken von der Mauer des Nachbarhauses, daß er sich unbedingt nach dieser Mauer zurücksehnen wird, davon können Sie überzeugt sein.«
»Das ist ganz richtig. Er wird sich mit dir zanken und überwerfen und wieder wegfahren – weiter kommt nichts dabei heraus!«
Nach diesen Worten zog Lisaweta Prokofjewna würdevoll den Korb mit ihrer Handarbeit zu sich heran, da sie ganz vergessen hatte, daß alle bereits aufgestanden waren, um den Spaziergang anzutreten.
»Es ist mir erinnerlich, daß er mit dieser Mauer sehr geprahlt hat«, begann Jewgenij Pawlowitsch von neuem. »Ohne diese Mauer wird er nicht mit großartigen Redewendungen sterben können, und daran ist ihm doch viel gelegen.«
»Nun gut«, murmelte der Fürst, »wenn Sie ihm nicht verzeihen wollen, wird er eben ohne Ihre Verzeihung sterben... Jetzt ist er um der Bäume willen hierher übergesiedelt.«
»Oh, ich meinerseits verzeihe ihm alles, das können Sie ihm ausrichten.«
»So darf die Sache nicht aufgefaßt werden«, antwortete der
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