Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
ich habe mit ihm getrunken und vergieße jetzt vielleicht Tränen darüber. Aber ich hatte doch nicht allein des Suffs wegen (verzeihen Sie, Fürst, einem schwer gereizten Mann diese derbe Offenherzigkeit), nicht allein des Suffs wegen mich ihm angeschlossen. Was mich lockte, waren, wie Sie richtig sagen, seine guten Eigenschaften. Aber alles geht bis zu einer gewissen Grenze, auch die Wertschätzung der guten Eigenschaften, und wenn er auf einmal die Dreistigkeit hat, mir ins Gesicht zu behaupten, er habe im Jahre 1812 als Kind sein linkes Bein verloren und es auf dem Waganjkowschen Friedhof in Moskau begraben, so überschreitet das denn doch alle Grenzen und zeugt von einer Respektlosigkeit und Frechheit...«
    »Vielleicht war das nur ein Scherz, der heiteres Gelächter hervorrufen sollte.«
    »Ich verstehe. Eine unschuldige Lüge, die heiteres Gelächter hervorrufen soll, kann, auch wenn sie plump ist, ein Menschenherz nicht beleidigen. Mancher lügt auch sozusagen nur aus Freundschaft, um demjenigen, mit dem er sich unterhält, ein Vergnügen zu machen, aber wenn bei einem solchen Benehmen Respektlosigkeit durchschimmert und wenn namentlich der Erzähler durch eine solche Respektlosigkeit zeigen will, daß ihm der Umgang mit dem andern lästig wird, dann bleibt einem anständigen Mann nichts anderes übrig, als den Beleidiger in die Schranken zu weisen, sich von ihm abzuwenden und alle Beziehungen zu ihm abzubrechen.«
    Der General war, während er sprach, ganz rot geworden.
    »Aber Lebedew kann doch im Jahre 1812 gar nicht in Moskau gewesen sein, dazu ist er ja zu jung; das ist lächerlich.«
    »Erstens das; aber selbst angenommen, daß er damals schon geboren war, wie kann er mir ins Gesicht behaupten, ein französischer Chasseur habe eine Kanone auf ihn abgefeuert und ihm so zum Vergnügen ein Bein abgeschossen; er habe dieses Bein aufgehoben, nach Hause getragen und nachher auf dem Waganjkowschen Friedhof begraben. Er sagt, er habe ein Denkmal darüber errichten lassen, mit einer Inschrift auf der einen Seite: ›Hier ruht ein Bein des Kollegiensekretärs Lebedew‹, und auf der andern: ›Ruhe sanft, liebe Asche, bis zum frohen Tage der Auferstehung!‹ und schließlich noch, er lasse jährlich für dieses Bein eine Seelenmesse lesen (so etwas zu sagen, ist geradezu ein Religionsfrevel) und fahre zu diesem Zweck jährlich nach Moskau. Und zum Beweis fordert er mich auf, nach Moskau mitzukommen; da wolle er mir das Grab zeigen und sogar im Kreml jene selbe französische Kanone, die nachher erbeutet worden sei; er behauptet, es sei die elfte vom Tor aus, ein französisches Falkonettgeschütz alter Konstruktion.«
    »Und dabei sind, wie der Augenschein lehrt, seine beiden Beine heil und gesund!« sagte der Fürst lachend. »Ich versichere Ihnen, daß das ein harmloser Spaß ist, ärgern Sie sich doch nicht darüber!«
    »Aber erlauben Sie auch mir, die Sache so aufzufassen, wie ich es für richtig halte. Was den augenscheinlichen Zustand seiner Beine anlangt, so ist seine Angabe freilich nicht ganz unwahrscheinlich; es wird versichert, daß das Tschernoswitowsche Bein...«
    »Ach ja, mit einem Tschernoswitowschen Bein soll man ja sogar tanzen können.«
    »Das weiß ich ganz genau; als Tschernoswitow sein Bein erfunden hatte, war das erste, was er tat, daß er schleunigst zu mir kam, um es mir zu zeigen. Aber das Tschernoswitowsche Bein ist erst viel später erfunden worden... Und außerdem behauptet er, daß sogar seine verstorbene Frau während ihrer ganzen Ehe nicht gewahr geworden sei, daß er, ihr Mann, ein Holzbein habe. ›Wenn du‹, sagte er, als ich ihn auf all diese Ungereimtheiten hinwies, ›wenn du im Jahre 1812 bei Napoleon Kammerpage warst, dann mußt du auch mir erlauben, mein Bein auf dem Waganjkowschen Friedhof zu begraben.‹«
    »Aber sind Sie denn...«, begann der Fürst und wurde verlegen.
    Der General schien ebenfalls beinah verlegen zu werden, sah aber gleich im selben Augenblick den Fürsten sehr von oben herab und fast spöttisch an.
    »Sprechen Sie zu Ende, Fürst«, sagte er, indem er die Worte mit besonderer Ruhe dehnte, »sprechen Sie zu Ende! Ich bin großmütig; sagen Sie alles: bekennen Sie nur, daß es Ihnen komisch vorkommt, einen Menschen in seinem jetzigen Zustand der Erniedrigung und Unbrauchbarkeit vor sich zu sehen und zugleich zu hören, daß dieser Mensch persönlich ein Zeuge großer Ereignisse gewesen ist. Er hat Ihnen noch nichts davon hinterbracht?«
    »Nein, ich

Weitere Kostenlose Bücher