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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Acapulco weiterfahren.«
    »Ein reizender Ort. Ich war gerade dort und habe mich nach ein paar Freunden umgesehen. Sie müssen hier irgendwo in der Nähe sein. Ich werde sie schon finden. Oh, fühlt die Dame sich nicht ganz wohl?«
    »Gute Nacht, Mr. Simms.«
    Sie gingen zur Tür, und William drückte fest Susans Arm. Sie sahen sich nicht um, als Mr. Simms hinter ihnen her rief: »Oh, nur noch eine Kleinigkeit.« Er machte eine kurze Pause und fügte dann langsam hinzu: »2155.«
    Susan schloß die Augen und fühlte den Boden unter ihren Füßen schwanken. Sie ging weiter, hinaus auf die im Feuerwerk strahlende Plaza, ohne etwas zu sehen.
     
    Sie schlossen die Tür ihres Hotelzimmers hinter sich ab. Und dann begann Susan zu weinen, während sie in der Dunkelheit standen und der Raum sich um sie drehte. Schwärmer explodierten in der Ferne, und Gelächter wehte von der Plaza herüber.
    »Einen Nerv hat der verdammte Kerl«, sagte William. »Sitzt da, mustert uns von oben bis unten wie Tiere, raucht seine verflixten Zigaretten und schlürft seine Drinks. Ich hätte ihn auf der Stelle umbringen sollen!« Seine Stimme klang fast hysterisch. »Er besaß sogar die Frechheit, uns seinen richtigen Namen zu nennen. Der Chef der Geheimpolizei. Und die Sache mit meinen Hosenbeinen. Mein Gott, warum habe ich sie nur nicht hochgezogen, als ich mich hinsetzte! Hier in diesem Zeitalter ist das eine automatische Geste. Als ich es unterließ, unterschied mich das von den anderen; er mußte ja denken: dieser Mann hat nie lange Hosen getragen, er ist an Breeches und Uniformen gewöhnt und an die Moden der Zukunft. Ich könnte mich töten, daß ich uns verraten habe!«
    »Nein, nein, es war mein Gang – diese ungewohnten hohen Absätze – die ihn stutzen ließen. Unsere Haarschnitte – so neu, so frisch. Und alles an uns so fremd und ungewohnt.«
    Er drehte das Licht an. »Noch prüft er uns. Er ist noch nicht überzeugt, daß wir es sind – noch nicht restlos. Deshalb dürfen wir nicht vor ihm fortlaufen. Wir dürfen ihn nicht sicher machen. Wir werden in aller Ruhe nach Acapulco fahren.«
    »Vielleicht ist er aber bereits sicher und spielt nur mit uns.«
    »Ich würde es ihm zutrauen. Er hat alle Zeit der Welt zur Verfügung. Er kann hier herumtrödeln, wenn er will, und uns dennoch sechzig Sekunden nach unserer Abreise aus der Zukunft wieder dorthin zurückbringen. Er kann uns tagelang im ungewissen lassen und über uns lachen.«
    Susan saß auf der Bettkante und wischte sich die Tränen vom Gesicht, während ihr der altertümlich anmutende Duft nach Holzkohle und Weihrauch in die Nase stieg.
    »Sie werden kein Aufsehen erregen, nicht wahr?«
    »Das werden sie nicht wagen. Sie werden uns schon allein antreffen müssen, um uns mit der Zeitmaschine zurückzuschicken.«
    »Dann gibt es eine Lösung«, sagte sie. »Wir werden nie allein sein, uns immer unter Menschen bewegen. Wir werden Märkte besuchen, in jeder Stadt im Gästehaus des Bürgermeisters schlafen und den Polizeichef bezahlen, damit er uns beschützt, bis wir eine Möglichkeit gefunden haben, Simms zu töten und zu entkommen, um uns danach wieder neu einzukleiden, vielleicht als Mexikaner.«
    Schritte ertönten vor ihrer verschlossenen Tür.
    Sie drehten das Licht aus und entkleideten sich schweigend. Die Schritte verklangen. Eine Tür klappte zu.
    Susan stand am Fenster und blickte auf die dunkle Plaza hinab. »Das Gebäude dort ist also eine Kirche?«
    »Ja.«
    »Ich habe schon oft wissen wollen, wie eine Kirche aussieht. Es ist so lange her, daß man bei uns welche sehen konnte. Können wir sie morgen besichtigen gehen?«
    »Natürlich. Komm jetzt ins Bett.«
    Sie lagen im dunklen Zimmer. Eine halbe Stunde später läutete ihr Telephon. Sie nahm den Hörer ab.
    »Hallo?«
    »Die Hasen mögen sich im Wald verbergen«, sagte eine Stimme, »aber ein Fuchs wird sie immer aufspüren.«
    Sie legte den Hörer auf die Gabel zurück und lag gerade ausgestreckt und kalt in ihrem Bett.
    Draußen, im Jahre 1938, spielte ein Mann nacheinander drei Melodien auf einer Gitarre.
     
    Während der Nacht streckte sie ihre Hand aus und berührte fast das Jahr 2155. Sie fühlte ihre Finger über die kalte Ferne der Zeit gleiten, wie über eine geriffelte Oberfläche, hörte das dumpfe Dröhnen marschierender Stiefel, sah fünfzigtausend Reihen Reagenzgläser mit Bakterienkulturen, streckte ihre Hand an ihrem Arbeitsplatz in der Fabrik der Zukunft danach aus, nach den Gläsern mit Lepra,

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