Der illustrierte Mann
Pest, Typhus, Tuberkulose – und dann erfolgte die große Explosion. Sie sah ihre Hand verbrennen, zu einer Backpflaume zusammenschrumpfen, fühlte sich von einer Erschütterung zurückgeworfen, so gewaltig, daß die Welt aus den Angeln gehoben wurde und stürzte, und alle Gebäude brachen ein und alle Menschen spien Blut und starben. Riesige Vulkane, Maschinen, Winde, Lawinen versanken im Schweigen, und sie erwachte, schluchzend, in ihrem Bett, in Mexiko, viele Jahre entfernt ...
Früh am Morgen, betäubt von der einen Stunde Schlaf, die sie endlich noch hatte finden können, weckte sie der laute Lärm von Automobilen auf der Straße. Susan blickte von dem eisernen Balkon hinab und sah, wie acht Leute lebhaft schwatzend und rufend aus Lieferwagen und Personenautos mit roten Aufschriften kletterten. Eine Menge von Mexikanern drängte sich um die Wagen.
»Qué pasa?« rief Susan zu einem kleinen Jungen hinunter.
Der Junge antwortete.
Susan drehte sich zu ihrem Mann um. »Eine amerikanische Filmgesellschaft, die hier Außenaufnahmen drehen will.«
»Klingt interessant.« William stand unter der Dusche. »Wir wollen ihnen zusehen. Ich glaube, wir reisen heute lieber noch nicht ab. Wir wollen versuchen, Simms einzulullen. Zusehen wie sie ihre Filme drehen. Die primitive Filmproduktion soll ja ein tolles Schauspiel gewesen sein. Die Ablenkung wird uns gut tun.«
Ablenkung, dachte Susan. Einen Augenblick lang hatte sie unter der strahlenden Sonne völlig vergessen, daß irgendwo im Hotel ein Mann, scheinbar unaufhörlich Zigaretten rauchend, auf sie wartete. Sie sah die acht lauten, fröhlichen Amerikaner dort unten und hätte ihnen am liebsten zugerufen: ›Rettet mich, versteckt mich, helft mir! Färbt mein Haar, meine Augen; steckt mich in fremde Kleider. Ich brauche eure Hilfe. Ich bin aus dem Jahr 2155!‹
Aber die Worte blieben in ihrer Kehle stecken. Die Funktionäre der ›Reisen in die Zeit, GmbH‹ waren nicht leichtfertig. Bevor sie jemand auf die Reise schickten, legten sie ihm eine psychologische Sperre in sein Gehirn. Man konnte niemandem seine wahre Zeitrechnung oder seinen Geburtsort verraten, noch den Leuten aus der Vergangenheit die Zukunft enthüllen. Die Zukunft mußte vor jeder Änderung geschützt werden, die von ihren in der Vergangenheit reisenden Menschen verursacht werden könnte. Selbst wenn sie es von ganzem Herzen wünschte, konnte sie niemandem dieser glücklichen Leute dort unten auf der Plaza erzählen, wer sie war oder in welch schrecklicher Lage sie sich befand.
»Wollen wir jetzt frühstücken gehen?« fragte William.
Das Frühstück wurde in dem sehr weiträumigen Speisesaal serviert. Es gab Schinken und Spiegeleier für alle. Der Saal war voller Touristen. Die acht Filmleute traten ein – sechs Männer und zwei Frauen – und schoben sich lachend und scherzend Stühle an einem Tisch zurecht. Und Susan setzte sich in ihre Nähe und spürte die Wärme und den Schutz, den sie boten, selbst noch als Mr. Simms die Treppe zur Hotelhalle herunterkam, mit sichtlichem Genuß seine türkische Zigarette paffend. Er nickte ihnen von weitem zu, und Susan nickte lächelnd zurück, denn hier, in der Gegenwart von acht Filmleuten und zwanzig anderen Touristen, konnte er ihnen nichts anhaben.
»Diese Schauspieler ...«, sagte William. »Vielleicht könnte ich zwei von ihnen kaufen, ihnen erklären, es sei ein Scherz, sie in unsere Kleider stecken und mit unserem Wagen abfahren lassen wenn Simms sich gerade an einer Stelle befindet, von wo er sie nur von hinten sehen kann. Wenn die beiden ihn für ein paar Stunden fortlocken könnten, würden wir es inzwischen bis nach Mexico-City schaffen. Er brauchte Jahre, um uns dort zu finden.«
»Hallooo!«
Ein dicker, schnapsduftender Mann stützte sich mit beiden Händen auf ihren Tisch.
»Amerikanische Touristen!« rief er. »Die Mexikaner stehen mir schon bis zum Hals; ich könnte euch küssen!« Er schüttelte ihnen die Hände. »Kommen Sie, essen Sie mit uns. Trübsal braucht Gesellschaft. Ich bin Trübsal, dies ist Miß Schwermut, und dies sind Mr. und Mrs. Wie-hassen-wir-Mexiko! Wir alle hassen Mexiko. Aber wir müssen hier ein paar Probeaufnahmen für einen gräßlichen Film drehen. Der Rest unserer Leute kommt morgen. Ich heiße Joe Melton. Bin der Regisseur. Kommt, setzt euch zu uns. Verschönt unsere Runde und heitert uns auf!«
Susan und William lachten.
»Bin ich etwa spaßig?« Mr. Melton schleuderte der Welt seine Frage
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