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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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»Angenommen. Wir treffen uns in zehn Minuten auf der Plaza. Sie holen mich mit Ihrem Wagen ab. Wir fahren zu einem einsamen Platz auf dem Lande. Ich werde veranlassen, daß die Zeitmaschine uns dort aufnimmt.«
    »Bill!« Susan umklammerte seinen Arm.
    »Laß nur.« Er sah sie an. »Es ist abgemacht.« Und zu Simms: »Noch etwas. Letzte Nacht hätten Sie in unser Zimmer eindringen und uns entführen können. Warum haben Sie es nicht getan?«
    »Wollen wir einmal annehmen, daß ich mich amüsiert habe«, erwiderte Mr. Simms träge, eine neue Zigarre anfeuchtend. »Ich gebe nur äußerst ungern diese wunderbare Atmosphäre auf, diese Sonne, diesen Urlaub. Nur mit Bedauern lasse ich den Wein und die Zigaretten zurück. Oh, wie ich es bedaure. In zehn Minuten also, auf der Plaza. Ihre Frau wird beschützt werden und darf hier bleiben, so lange sie will. Verabschieden Sie sich jetzt.«
    Mr. Simms erhob sich und ging hinaus.
    »Da geht unser Mr. Großmaul!« rief Melton hinter dem abziehenden Gentleman her. Er drehte sich um und blickte Susan an. »He! Da weint ja jemand! Frühstück ist nicht die richtige Zeit zum Weinen.«
     
    Um 9.15 Uhr stand Susan auf dem Balkon ihres Zimmers und sah auf die Plaza herab. Mr. Simms saß dort mit gekreuzten Beinen auf einer zierlichen Bank. Er biß die Spitze von einer Zigarre ab und zündete sie zärtlich an.
    Susan hörte das Brummen eines Motors, und weit hinten, am Ende der Straße, bog William mit seinem Wagen aus einer Garage und kam langsam über das leicht abschüssige Pflaster herabgefahren.
    Der Wagen wurde schneller. Vierzig, sechzig, achtzig Stundenkilometer. Hühner flatterten vor ihm auf.
    Mr. Simms nahm seinen weißen Panamahut und betupfte seine rosige Stirn, setzte den Hut wieder auf – und erblickte den Wagen.
    Das Auto brauste jetzt mit rund hundert Stundenkilometern auf die Plaza zu.
    »William!« schrie Susan.
    Der Wagen knallte donnernd gegen die niedrige Einfassung der Plaza, machte einen kleinen Satz, sauste über den Ziegelboden auf die grüne Bank zu, wo Mr. Simms jetzt seine Zigarre fallen ließ, aufschrie, die Hände in die Luft warf und von dem Auto erfaßt wurde. Sein Körper segelte hoch empor, kreiselte wild in der Luft und schlug dumpf auf den Boden.
    Am anderen Ende der Plaza kam der Wagen mit einem zerbrochenen Vorderrad zum Stillstand. Leute rannten.
    Susan ging in ihr Zimmer und schloß die Balkontür.
     
    Arm in Arm kamen sie mit bleichen Gesichtern um zwölf Uhr mittags die Treppe des Bürgermeisteramtes herunter.
    »Adiós, Señor« , sagte der Bürgermeister hinter ihnen. »Señora.«
    Sie standen auf der Plaza, wo die Menge sich versammelt hatte und die Leute auf das Blut zeigten.
    »Wirst du noch einmal hingehen müssen?« fragte Susan.
    »Nein, wir haben es wieder und wieder durchgesprochen. Es war ein Unfall. Ich habe die Kontrolle über den Wagen verloren. Ich habe sogar vor ihnen geweint. Gott weiß, wie sehr ich meine Erleichterung abreagieren mußte. Mir war wirklich zum Weinen zumute. Es war furchtbar, ihn töten zu müssen.«
    »Du wirst nicht vor Gericht müssen?«
    »Sie sprachen darüber, ließen es aber fallen. Ich sprach rascher. Sie glauben mir. Es war ein Unfall. Es ist alles vorbei.«
    »Wohin werden wir fahren? Mexico-City? Uruapan?«
    »Der Wagen ist in der Werkstatt. Heute nachmittag um vier Uhr soll er fertig sein. Dann machen wir uns so rasch wie möglich aus dem Staube.«
    »Werden wir verfolgt werden? Arbeitete Simms allein?«
    »Ich weiß nicht. Aber ich glaube, wir werden einen kleinen Vorsprung haben.«
    Als sie sich dem Hotel näherten, kamen die Filmleute heraus. Mr. Melton eilte ihnen entgegen, ein betrübtes Gesicht ziehend. »Ha, ich habe gehört, was geschehen ist. Wie schrecklich. Wollen Sie sich ein wenig ablenken? Wir machen am Ende der Straße ein paar Probeaufnahmen. Wenn Sie zusehen wollen, sind Sie willkommen.«
    Sie gingen.
    Sie standen auf der mit Kopfsteinen gepflasterten Straße, während die Filmkamera aufgestellt wurde. Susan blickte die Straße hinunter, die in die Ferne führte, auf die Landstraße nach Acapulco und an das Meer, und sie dachte: wir werden immer unterwegs sein, nie allein, immer in der Menge reisen, uns auf Märkten und in Hotelhallen drängen, Polizisten bestechen, daß sie unseren Schlaf bewachen, die Türen doppelt verschließen, aber nie wieder allein, immer in der Menge reisen, immer in Angst der nächste, der an uns vorbeigeht, könnte ein anderer Simms sein. Wir werden

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