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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Papiermachehaupt und die echten Hörner zu betasten.
    »Laß uns den Stier anschauen gehen«, sagte William.
    Als sie am Eingang des Cafés vorbeikamen, erblickte Susan den Mann, der zu ihnen heraussah, einen weißen Mann in makellos weißem Anzug, mit blauer Krawatte und blauem Hemd. Er hatte ein schmales, sonnengebräuntes Gesicht, sein Haar war blond und glatt, seine Augen blau, und er beobachtete sie.
    Er wäre ihr überhaupt nicht aufgefallen, hätten nicht die Flaschen neben seinem Ellbogen gestanden; eine dunkle Flasche mit Creme de Menthe, eine klare Flasche mit Vermouth, eine bauchige Flasche mit Cognac und sieben weitere Flaschen mit verschiedenen Likören. Vor ihm waren zehn kleine, halbgefüllte Gläser aufgereiht, aus denen er, ohne seine Augen von der Straße abzuwenden und gelegentlich dabei schielend, abwechselnd nippte und genußvoll seine dünnen Lippen zusammenpreßte. In seiner freien Hand qualmte eine dünne Havannazigarre, und auf einem Stuhl neben ihm lagen zwanzig Päckchen mit türkischen Zigaretten, sechs Kistchen Zigarren und ein paar Schachteln mit Eau de Cologne.
    »Bill ...«, flüsterte Susanne.
    »Hab' keine Angst!«, erwiderte er. »Der hat nichts zu bedeuten.«
    »Ich sah ihn schon heute morgen auf der Plaza.«
    »Sieh dich nicht um, geh weiter. Schau dir den Papiermachestier hier an. Das ist er schon – stell Fragen.«
    »Glaubst du, er gehört zu den Spürhunden?«
    »Sie können uns nicht gefolgt sein!«
    »Vielleicht doch!«
    »Welch ein feiner Stier!« sagte William zu dem Besitzer des Fabelwesens.
    »Er kann uns doch unmöglich durch zweihundert Jahre zurückverfolgt haben, nicht wahr?«
    »Nimm dich jetzt um Gottes willen zusammen«, sagte William.
    Sie schwankte. Er preßte ihren Ellbogen und steuerte sie durch das Gedränge.
    »Werd' mir jetzt nicht ohnmächtig.« Er lächelte bei diesen Worten, um kein Aufsehen zu erregen. »Gleich geht's dir wieder besser. Am besten gehn wir jetzt einfach in das Café und trinken etwas direkt vor seinen Augen; wenn er der ist, den wir in ihm vermuten, werden wir so seinen Verdacht zerstreuen.«
    »Nein, das kann ich nicht.«
    »Wir müssen es wagen. Komm jetzt. Und zu David habe ich gesagt, das ist einfach lächerlich!« Den letzten Satz sprach er mit lauter Stimme, während sie schon die Stufen zum Café hinaufstiegen.
    Wo sind wir? dachte Susan. Wer sind wir? Wohin gehen wir? Wovor fürchten wir uns? Du mußt ganz von vorn beginnen, sagte sie sich, ihren gesunden Verstand zusammenraffend, als sie den getrockneten Lehmboden unter ihren Füßen spürte.
    Mein Name ist Ann Kristen, mein Mann heißt Roger. Wir wurden im Jahre des Herrn 2125 geboren. Und wir lebten in einer Welt, die dem Bösen geweiht war. In einer Welt, die sich wie ein großes schwarzes Schiff vom Gestade der Vernunft und der Zivilisation losgerissen hatte, das sein schwarzes Nebelhorn in die Nacht hinein erschallen ließ und drei Milliarden Menschen in den Tod führte, ob sie wollten oder nicht, zum Sturz über den Rand der Erde in ein Meer von Wahnsinn und radioaktiver Glut.
    Sie betraten das Café. Der Mann starrte sie an.
    Ein Telephon läutete.
    Das Läuten ließ Susan zusammenzucken. Es erinnerte sie an das Läuten eines Telephons zweihundert Jahre in der Zukunft, das sie an jenem blauen Aprilmorgen des Jahres 2155 abgenommen hatte:
    »Ann, hier spricht Renée! Hast du's schon gehört? Ich meine, von der ›Gesellschaft für Reisen in die Zeit‹? Ausflüge ins Rom des Jahres 21 vor Christi Geburt, auf das Schlachtfeld von Napoleons Niederlage bei Waterloo – in jede Zeit und an jeden Ort!«
    »Renée, du machst Witze!«
    »Nein. Clinton Smith ist heute früh nach Philadelphia im Jahre 1776 abgereist. ›Reisen in die Zeit GmbH‹ arrangiert alles. Kostet natürlich einiges. Aber denk nur – mit eigenen Augen die Einäscherung von Rom sehen, Kublai Khan, Moses und das Rote Meer! Wahrscheinlich steckt schon eine Anzeige in deiner Rohrpost.«
    Sie hatte den Rohrpostbehälter geöffnet, und darin lag die Metallfolie mit der Anzeige:
     
    R OM UND DIE B ORGIAS !
    D IE G EBRÜDER W RIGHT BEI K ITTY H AWK !
     
    Reisen in die Zeit GmbH, kleidet Sie zeitgemäß ein und reiht Sie in die Zuschauermenge bei der Ermordung Lincolns oder Caesars! Wir garantieren Ihnen die Beherrschung jeder Sprache, die Sie benötigen, um sich frei in jeder Zivilisation, in jedem Jahr bewegen zu können, ohne alle Schwierigkeiten. Latein, Griechisch, die frühere amerikanische Umgangssprache.

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