Der illustrierte Mann
feilt ihm die Fingernägel, bringt ihm eine Frau, schreit ihn an, knallt, macht Lärm, röstet ihn mit Elektrizität, füllt die Lücken und Löcher, aber wo sind eure Beweise? Ihr könnt nicht ohne Unterlaß fortfahren, ihm Beweise anzubieten.
»Hitchcock!« schrie er, so laut er konnte, fast in panischer Angst, als fürchte er, selbst in einen Abgrund zu stürzen. »Ich bin's. Dein Freund! He!«
Clemens drehte sich um und ging aus dem still gewordenen Raum.
Zwölf Stunden später ertönte wieder eine Alarmglocke.
Nachdem die Aufregung abgeklungen war, erklärte der Kommandant: »Hitchcock schien ein paar Minuten lang wieder ganz vernünftig zu sein. Man ließ ihn allein. Er stieg in einen Raumanzug. Dann kletterte er in eine Luftschleuse und spazierte in den Weltraum hinaus.«
Clemens blinzelte durch die gewaltige Glasscheibe, hinter der ein Gewimmel von Sternen sich in ferner Schwärze verlor. »Ist er jetzt dort draußen?«
»Ja. Eine Million Meilen hinter uns. Wir würden ihn nie wiederfinden. Erst als ich seine Stimme aus dem Helmradio im Lautsprecher unseres Kontrollempfängers hörte, merkte ich, daß er sich außerhalb unseres Schiffes befinden mußte. Ich hörte ihn mit sich selbst sprechen.«
»Was sagte er?«
»Ungefähr folgendes: ›Kein Raumschiff mehr. Hat nie eins gegeben. Keine Menschen. Keine Menschen im ganzen Universum. Hat nie welche gegeben. Keine Planeten. Keine Sterne.‹ Und dann sagte er etwas über seine Hände und Beine und Füße: ›Keine Hände‹, sagte er. ›Ich habe keine Hände mehr. Habe nie welche gehabt. Keine Füße. Habe nie welche gehabt. Kann's nicht beweisen. Kein Körper. Nie einen gehabt. Keine Lippen. Kein Gesicht. Kein Kopf. Nichts. Nur Raum. Nur Weite. Nur die Lücke.‹«
Der Raum, dachte Clemens. Der grenzenlose Raum, den Hitchcock so liebte. Nichts oben, nichts unten, unendliches Nichts dazwischen, und Hitchcock in der Mitte dieses Nichts, auf seiner Reise zu einem nicht näher bestimmbaren Abend oder Morgen ...
Der Fuchs und die Hasen
Schon am ersten Abend erlebten sie ein Feuerwerk. Eigentlich hätten sie sich davor fürchten müssen, denn es konnte sie an andere, schrecklichere Dinge erinnern; aber dieses Feuerwerk war wunderschön – Raketen stiegen in die linde Luft Mexikos und zerplatzten zu blauen und weißen Sternschnuppen. Alles war gut und schön, die Luft atmete jenes unvergleichliche Aroma einer ausgewogenen Mischung von Gegenwart und Vergangenheit, von Regen und Staub, von Weihrauch aus der Kirche und Messing von den Tuben auf dem Orchesterpodium, die in überschwenglichen Rhythmen die Klänge von ›La Paloma‹ über die Plaza bliesen. Die Tore der Kirche standen weit offen, und ein riesiges gelbes Sternbild schien feuersprühend vom nächtlichen Oktoberhimmel auf ihre Mauern gesunken zu sein; unzählige Kerzen verströmten rauchend ihr warmes Licht.
»Wir befinden uns im Jahre 1938«, sagte William Travis, der lächelnd neben seiner Frau am Rande der lärmenden Menge stand. »Es ist ein gutes Jahr.«
Ein Stier stürmte auf sie zu. Beiseite springend und sich an den Händen haltend, lief das Ehepaar lachend durch den Funkenregen, durch Lärm und Musik, vorbei an der Blaskapelle, vorbei an der Kirche, über sich die Sterne. Der Stier, ein leichtes, mit Schwefel und Schießpulver gefülltes Bambusgerüst auf den Schultern eines jungen Mexikaners, stürmte an ihnen vorbei.
»Noch nie in meinem Leben bin ich so vergnügt gewesen!« rief Susan Travis, atemlos stehenbleibend.
»Ein verwirrendes Bild«, sagte William.
»Und das geht so weiter, nicht wahr?«
»Die ganze Nacht.«
»Nein, ich meine jetzt unsere Reise.«
Er runzelte die Stirn und klopfte auf seine Brusttasche. »Ich habe genug Reiseschecks für unser ganzes Leben. Amüsier dich nur. Vergiß alles. Sie werden uns nie finden.«
»Nie?«
»Nie.«
Jemand warf brennende, große Schwärmer von dem glockendröhnenden Kirchturm, die in Qualmwolken gehüllt unter die tanzende, auseinanderstiebende Menge fielen und in phantastischen Sprüngen zwischen ihren quirlenden Leibern und Beinen explodierten. Ein wundervoller Duft von frischgebackenen Tortillas hing in der Luft, und an den Cafétischen saßen Männer hielten Biergläser in ihren braungebrannten Händen und schauten zu.
Der Stier war tot. Das Feuer in den Bambusrohren war ausgebrannt, er hatte seine Schuldigkeit getan. Der Mann hob das Gerüst von seinen Schultern. Kleine Jungen bedrängten ihn, um das gewaltige
Weitere Kostenlose Bücher