Der im Dunkeln wacht - Roman
in der Siedlung gekümmert. Das konnte er gut. Aber jetzt sagt Kenneth, der den Hausmeisterservice organisiert, dass Daniel immer ablehnt, wenn er ihm Arbeit anbietet. Daniel behauptet, er sei krankgeschrieben. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber Kenneth sagt, das sei er schon lange. Seit seine Großmutter starb. Wie kann er sich dann die große Wohnung leisten?«
Theo strich sich mit den Händen über die Taschen seiner Wolljacke. Er zog eine Schachtel Marlboro hervor und legte sie auf den Tisch. Aus der anderen Tasche fischte er ein gelbes Plastikfeuerzeug.
»Sind die Mieten hier hoch?«, fragte Irene.
»Vielleicht nicht ganz so schlimm wie in der Stadt, aber er wohnt in einer Dreizimmerwohnung. Allein.«
Er erhob sich und hielt Irene die Zigarettenschachtel hin. Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Er ging auf die Hintertür zu, als sich dort ein Schlüssel im Schloss drehte. Melina trat ein und begrüßte Irene.
»Gut. Dann kannst du dich mit Inspektorin Huss unterhalten, während ich eine Zigarette rauche«, sagte Theo.
Melina wirkte nicht sonderlich begeistert, hängte dann aber ihre Jacke auf und setzte sich an den alten Küchentisch. Sie gähnte herzhaft und goss sich dann eine Tasse Kaffee ein. Anschließend sah sie Irene mit ihren meergrünen Augen an. Sie waren stark geschminkt, was ihre ungewöhnliche Farbe noch unterstrich.
»Geht es um Daniel?«, fragte sie.
»Warum glauben Sie das?«, erwiderte Irene neutral.
»Schließlich haben Sie beim letzten Mal nach ihm gefragt. Außerdem ist er irgendwie … unheimlich.«
Sie bewegte die Schultern, als schaudere es sie.
»Haben wir Ihnen deswegen den anonymen Tipp wegen des Phantombilds zu verdanken?«, fragte Irene.
Melina zuckte zusammen. Sie riss die Augen auf. Sie strich eine honigfarbene Strähne beiseite und hinters Ohr. Sie war zu dick, und das Haar war zu glatt. Die Strähne fiel sofort wieder zurück.
»Woher … wissen Sie das?«
»Das war nicht schwer zu erraten. Finden Sie, dass er noch komischer wirkte als sonst?«
Melina begann nervös mit der Haarsträhne zu spielen.
»Ich weiß nicht … Das ist mehr so ein Gefühl. Er … starrt. Sogar Mama ist das aufgefallen. Sie will mit ihm nicht allein im Laden sein.«
»Hat er etwas gesagt oder irgendwelche Annäherungsversuche unternommen?«
»Nein. Nie. Aber er ist so unheimlich. Ich gehe auch nicht mehr an der Garage vorbei, obwohl das der nächste Weg zur Straßenbahn ist.«
Irene horchte auf.
»Die Garage?«
»Ja. Uralt. Liegt da drüben.«
Melina deutete auf einen unbestimmten Punkt über Irenes Schulter.
»Das muss Westen sein … Meinen Sie das Naherholungsgebiet Ruddalen?«
»Genau. Da ist er manchmal.«
»Was macht er da?«
Melina zuckte mit den Achseln. Der Vater kehrte von seiner
Zigarettenpause zurück. Er roch nach Obst und Tabak. Er lächelte mit seinen nikotingelben Zähnen und fragte:
»Worum geht’s?«
»Um Daniel. Melina hat mir gerade erzählt, dass er sich manchmal in einer alten Garage hier in der Nähe aufhält«, erklärte Irene.
»Ja, da war er früher sehr oft. Aber ob er da immer noch ist, das glaube ich eigentlich nicht.«
»Was tat er da?«
»Er half seinem Großvater. Der hatte dort eine Fahrradwerkstatt. In der Garage war ganz früher mal eine Autowerkstatt. Daniels Großvater reparierte dort später Fahrräder.«
»Aber sein Großvater starb doch vor vielen Jahren. Vor achtzehn Jahren. Hat Daniel nach seinem Tod die Garage weiterhin gemietet?«, wollte Irene wissen.
Theo runzelte die Stirn und dachte nach. Zögernd antwortete er:
»Daniel hat dort immer an seinen Fahrrädern herumgeschraubt und später an seinem Moped. Als sein Großvater starb, übernahm ein alter Freund des Großvaters die Reparaturen. Aber ich weiß nicht, was wirklich daraus wurde. Er hieß Stig und trank recht viel. Es heißt, er habe die letzten Jahre vor seinem Tod mit seinen Katzen sogar dort gewohnt. Manchmal sah ich Daniel bei ihm. Daniel hatte einige Jahre ein altes Auto, an dem er in der Garage herumschraubte. Aber Stig ist wie gesagt auch schon vor einigen Jahren gestorben. Ich denke nicht, dass die Garage zurzeit genutzt wird.«
Aber das glaube ich doch, dachte Irene. Als wolle sie das bestätigen, sagte Melina:
»Letzten Sommer habe ich Daniel noch dort gesehen. Seither gehe ich mit Lukas nicht mehr dort entlang.«
»Lukas ist unser Hund. Ein alter Golden Retriever, der ebenso nett wie dumm ist«, erklärte Theo.
»Papa!«, sagte Melina
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