Der im Dunkeln wacht - Roman
berufliches Ich musste darüber hinaus zugeben, dass es sich um keine geglückte Vernehmung handelte.
»Ich beschuldige ihn ja gar nicht. Ich will nur alle Möglichkeiten in Betracht ziehen und mich erkundigen, ob er vielleicht was weiß«, versuchte Irene sich zu rechtfertigen.
»Verdammter Polizeimissbrauch!«, schrie Malin und knallte die Tür zu.
Polizeimissbrauch? Sie meinte wohl Machtmissbrauch. Irene konnte Malins Entrüstung gut verstehen, obwohl sie fand, dass sie überreagierte. Warum eigentlich, wenn sie von der Unschuld ihres Sohnes überzeugt war?
Wie als Antwort auf ihre Überlegungen kam Viktor selbst angestiefelt. Er öffnete die Gartenpforte und lächelte fröhlich.
»Hallo«, sagte er.
»Hallo, Viktor. Du … Ich habe deine Mutter gerade etwas gefragt. Sie wurde sehr böse auf mich.« Viktors Lächeln erlosch, und er sah sie unsicher an. Irene lächelte ihm aufmunternd zu und sagte freundlich:
»Jemand hat in unserem Garten komische Sachen angestellt, unsere kleine Bank herumgetragen und ein paar Blumen zerstört. Ich wollte dich nur fragen, ob du etwas darüber weißt.«
Der Junge schüttelte den Kopf. Er wirkte aufrichtig erstaunt.
Irene sah Viktor in die Augen und lächelte ihn erneut an. Er schaute unsicher zu ihr auf, beantwortete aber dann ihr Lächeln. So sah kein schuldbewusster Zehnjähriger aus.
Aber wenn nicht Viktor die Blumen zerstört und die Bank verschoben hatte, wer dann?
Mein Liebling gibt eine Einladung. Das gefällt mir nicht. Männer und Frauen, alle halten sie Gläser in den Händen. Alkohol. Und führe sie nicht in Versuchung, sondern erlöse sie von dem Bösen.
Ich bin für sie da. Sie weiß, dass ich über sie wache. Wir sind in unserer Liebe vereinigt. Auf ewig. Amen. Zwei Männer und zwei Frauen. Sie sitzen am Tisch und essen. Und trinken. Immer dieser Alkohol. Sie muss weg von diesen verderblichen Einflüssen. Siehe, ich werde dir einen Engel senden, der dich auf dem Weg halten und zu dem Platz führen wird, den ich ausersehen habe. Ich werde mich um dich kümmern, mein Liebling. Wir werden auf ewig in unserer Liebe vereint sein.
Ich bin da und wache. Ich bin der Wächter.
Das andere Paar ist gegangen, er aber nicht. Sie haben sich geküsst und … mehr. Obwohl sie die meisten Lampen gelöscht hat, sehe ich mehr als genug. Sie hat ihr Haar geöffnet. Er beginnt, sie auszuziehen. Ihre Brüste sind groß und … eklig. Sie zeigt ihr wahres Ich. Die Fassade ist zersplittert. Sie sieht aus wie eine Hexe. Ein Troll.
Trolle darf man nicht am Leben lassen.
E s ist verboten, Hunde auf dem Friedhof Gassi zu führen, aber die Not kennt kein Gebot. Egon musste raus. Also eine kurze Runde über den Westfriedhof. Um diese Zeit war auch kaum jemand dort, der sich daran stören konnte, dass sie den Haufen nicht aufsammelte. Er war ohnehin nicht der Rede wert. Wegen ihres Asthmas fiel es ihr schwer, sich zu bücken. Sie hatte Glück und fand einen Parkplatz direkt neben dem Tor. Schwer atmend und mit Mühe stieg sie aus ihrem Skoda. Bevor sie den Hund aus dem Auto ließ, nahm sie ihn an die Leine. Dann ging sie durchs Tor. Der Dackel folgte ihr widerwillig. Er hätte gerne noch an ein paar interessanten Ecken geschnuppert.
»Egon! Komm jetzt! Wir haben keine Zeit.«
Sie schimpfte auf den Hund ein, der sich jetzt erst recht weigerte. Schließlich setzte er sich resolut auf die Erde. Mit einem Ruck seines Kopfes gelang es ihm, sich seines ausgeleierten Halsbandes zu entledigen. Ha! Frei! Egon verschwendete keine Zeit und verschwand über die Wiese, so schnell ihn seine kurzen Beine trugen. Aus einem Gebüsch an der Mauer drangen liebliche Düfte. Mit Wohlbehagen bohrte er seine Schnauze in das nasse Laub und atmete all die Pheromone ein, die eine unbekannte Schönheit zurückgelassen hatte. Wäre sein Frauchen nicht gewesen, hätte er stundenlang verweilen können. Er hörte ihre schweren, schlurfenden Schritte auf der Wiese, und obwohl er ihre schrille Stimme zu ignorieren versuchte, erkannte er die Tonlage : Frauchen war nicht froh. In der Tat klang sie richtig wütend. Als sie sich mit hoch erhobener Leine näherte, wurde ihm bewusst, dass es vermutlich das Gesündeste war, noch eine Weile
auf Abstand zu bleiben. Er verzog sich in die Rhododendronbüsche. Frauchens Stimme wurde noch schriller und wütender, aber dort drinnen würde sie ihn nicht zu fassen kriegen. Ein anderer Geruch mischte sich mit dem Duft der Hündin. Zunächst blieb Egon unschlüssig
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