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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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dazu nötigt, Fragen der Transparenz oder Intransparenz von Denk- und Sprachbildern überhaupt zu untersuchen.
VII.
Rückwärtsvorhersagen, theoretische und praktische Spekulation
    Folgt man unserer Betrachtungsweise, so tun die Menschen des sechzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts das Richtige mit falschen Begründungen, weil zunächst, da die Leute noch mitten im Falschen stecken, keine richtigen zu haben sind.
    Diese Konstellation aber überlebt ihre Voraussetzungen: Noch ein so später (und in seinem Beharren auf Enlightenment values grundsympathischer) bürgerlicher Liberaler wie John Rawls kommt in seiner 1971 (also mitten im schönsten kulturrevolutionären Atmosphärendonner des 68er Rousseau-Revivals) nicht um den Rückgriff auf die Erkenntniskrücke einer »Urzustandshypothese« herum, dessen teleologische Zirkularität – der spekulative Urzustandserforscher findet dauernd Ostereier, die er selbst versteckt hat – ihm allerdings immerhin bewußt gewesen zu sein scheint.
    Es ist fast so, als ob, solange kein höherer (nämlich zugleich produktiverer und freierer, wir bleiben auf Spinozas und Rousseaus gemeinsamem Boden) zivilisatorischer Zustand als der vom frühen Bürgertum erlebte sich eingestellt hat, immer wieder über den Geschichtsverlauf auf dieselbe Weise nachgedacht wird, wie es die Analyse der Individualneurose mit dessen Kindheit anstellt: Das Irrationale der frühen Konstellationen muß mit der Rationalität des erst noch zu verwirklichenden, des erstrebten Gesundheitszustandes rückwirkend vermittelt und dabei gleichsam gerechtfertigt werden – der marxistisch geschulten Leserin wird spätestens hier auffallen, daß das, was wir für die Aufklärung und ihre logisch und induktiv fragwürdigen intellektuellen Ursprünge sagen, nach Marx erst recht für die ökonomische Daseinsbedingung der Neuzeit, die Quelle allen bürgerlichen Reichtums, das Kapitalverhältnis, gilt: Es ist vernünftig nur im Hinblick auf seine historische Rolle, den allgemeinen Reichtum zu schaffen, der wiederum Voraussetzung für die Abschaffung der Klassengesellschaft insgesamt ist. Erst wenn tendenziell alles für tendenziell alle produziert werden kann (was vor dem Kapitalverhältnis und der entwickelten Warenwirtschaft kein Strukturmerkmal der menschlichen Gütererzeugung war), kann daran gedacht werden, die Unterschiede zwischen den Menschengruppen hinsichtlich ihrer rechtlichen, politischen, sozialen Stellung zu den Produktionsmitteln aufzuheben.
    Analog dazu könnte ein bürgerlicher Liberaler also sagen: Wenn auf die Aufklärung, deren Begründungsgeflecht wie aufgezeigt ein seltsamer Wechselbalg aus Rationalismus und Empirismus ist, eine durchsetzbare Version des Naturrechts, eine Blaupause für den liberalen Rechtsstaat folgt, dann war sie selbst in ihrer eklektischen Unvernunft vernünftig.
    Was für eine Sorte »Wahrmacher« (Armstrong) aber ist das, der die Aufklärung da sowohl ermöglicht und begleitet hat wie aus ihr hervorgegangen ist, und wie wird überhaupt ein falsches ontisches oder deontisches Verhältnis Wiege eines richtigen? Wir schlagen vor: Auf dieselbe Weise, wie normative Sätze »wahr werden«, mit denselben Mitteln, die sie »wahrmachen«: nicht als Glieder in einer inferentiellen Kette, sondern als Aussagen, die denen, die sie gebrauchen, die Mittel zur Aufhebung der historischen Voraussetzungen für die Formulierbarkeit solcher Sätze an die Hand geben und selbst wieder geschichtliche Spuren hinterlassen. Statt Begründungsketten, die sich an Kausalketten schmiegen wollen, haben wir es also mit Entwürfen, Blochschen »Utopien«, Marxschen »Programmen« zu tun, Software für die tätige Umgestaltung der sozialen Welt, eine Sorte Tatsache also, für welche die Bürger nach einem Bild aus der Astronomie, die sie ehrten, weil deren Fortschritt eng mit einem wichtigen Säkularisierungsschritt der Wissenshistorie verbunden war, das Wort »Revolution« gebrauchten.
     
    Denken wir die Kernsätze der Aufklärung als normative, verschiebt sich die Perspektive weg von der Rekonstruktion und hin zum Nochnichtgedachten, Nochnichtgelebten – die arché verliert Wichtigkeit, die theoretische und praktische Spekulation übernimmt das Feld.
    Man wird, wenn man die Geschichte der Vermehrung menschlicher Glücksmöglichkeiten, des Kampfes gegen vermeidbare Leiden verstehen und hin zur Freiheit, Gleichheit, zur Herstellung der solidarischen Menschheit und Beseitigung der diese verhindernden

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