Der Implex
antagonistischen Widersprüche im Sozialen nicht nur die Klassiker der politischen Sozialgeschichtsschreibung und Gesellschaftstheorie befragen müssen – Hobbes, Locke, Marx, Weber. Ohne sie ist zwar bei dem Stoff, um den es geht, kein Durchkommen, ihre Ideen werden uns im folgenden ebenso wie die weniger bekannter, mit demselben Stoff auf ähnliche Weise befaßter Leute namens Barbauld, Paine oder Poulain de la Barre immer wieder begegnen. Genauso aufmerksam aber wird man sich, wenn man es mit der benannten Perspektivverschiebung ernst meint, bei denen unterrichten müssen, die inspirierte Fiktionen und irreduzible Taten beim Weltwerden der modernen Welt, beim Kampf um Emanzipation, beim Explizitmachen des Übersehenen oder von den jeweils zugelassenen Debatten Ausgeschlossenen riskiert haben.
Inspirierte Fiktionen: Die modernen Spielarten der kontrafaktischen Kunst, des phantastischen Erzählens, der narrativen Spekulation, aus denen wurde, was man heute als Science-Fiction oder Fantasy kennt, haben ihr Herkommen alle aus der Aufklärung, der Proto-Aufklärung (vulgo »Humanismus«) und der Selbstreflexion der Aufklärung, von der nicht nur dem Namen nach gattungsprägenden Utopia des Thomas Morus (1516) über Bacons Neu-Atlantis (1629), religiöse Historienphantastika über den Fortschritt zum Wahren wie Miltons Paradise Lost (1667) oder Paul Bunyans Pilgrim’s Progress (1678), Johannes Keplers bereits deutlich säkulareres Somnium (1692), Cyrano de Bergeracs Andere Welten (1657-62), Swifts Gullivers Reisen (1726) und Voltaires Micromégas (1750) bis hin zu Mary Wollstonecraft Shelleys die aufgeklärtesten Zweifel an den Ergebnissen der Aufklärung artikulierende Erzählwerke Frankenstein (1818) und The Last Man (1826) – die Sphäre, in der diese Art Kunst das novum der Neuzeit anschaulich und erzählbar ist, werden wir auf der Suche nach dem, was sich an ihr vom Fortschritt explizit machen läßt, durchmessen.
Irreduzible Taten: praktische menschliche Emanzipation, Arbeiterbewegung, Erringung von Frauenrechten, Antikolonialismus, die Ereignisgeschichte der Bauernkriege, der Katharer, der Indigenen im Widerstand gegen die weißen Eroberer, der Levellers, Diggers, Ranters, Sansculotten, Communarden, Bolschewiki, spanischen Anarchisten, Zapatistas, Machno-Anhänger, Räterepublikaner, unzufriedenen Greisinnen, unklassifizierbaren Sozialexperimentatoren, renitenten sexuellen Minderheiten – wer, wenn nicht diejenigen, die sich Freiheit und Rechte erstreiten müssen, macht die Freiheitsgrade scheinbar gegen jede Weiterentwicklung oder gar Überwindung abgedichteter Zustände sichtbar? Wir werden versuchen, von diesen Menschen zu lernen, was die immer gewußt haben, und an allen Orten, an denen sie kämpfen, stets wissen: Nicht hinzunehmen ist der status quo, daß nicht alle Menschen ausreichend, geschweige gut essen und trinken, daß sehr wenige medizinisch so versorgt werden, wie das heilkundliche Wissen der jeweiligen Epoche, in der sie leben, zuließe, daß ein sehr kleiner Teil der Weltbevölkerung in hellen Räumen mit nützlichen, geschweige schönen Möbeln wohnt, daß Personen, wenn sie sich verlieben, nicht überall miteinander anfangen können, wozu sie Lust haben, solange daraus niemand ein Schaden entsteht, daß nur wenige sich zweckmäßig, geschweige nach einem eigenen Geschmack kleiden und sich kaum jemand aussuchen kann, wann andere auf ihre oder seine Bedürfnisse, Wünsche oder Ansichten achten.
Die einen Fortschritt freisetzende Binnendynamik zwischen dem spinozistischen und dem rousseauanischen Zug der Tiefenethik des Enlightenment wurde bald nach Erlangung der politischen Macht durch das Bürgertum durch dessen von da an merklich konservativer gestimmte Ideologen stillgestellt. Aus dem spinozistischen Element, der rationalistischen Seite der modernen Legitimität, leitete man fürs Erreichte einen Ewigkeitsanspruch ab (tragisch bei Hegel, lächerlich bei Fukuyama), aus dem rousseaunischen saugte man ein para-imperialistisches Menschenrechtspathos, das nicht nur als Rechtfertigungsmusik bei der Unterstützung oder Bekämpfung armer Separatisten in geostrategisch interessanten Weltregionen durch mächtige und reiche Staaten vielfach diskreditiert ist. Anders als Spinoza und Rousseau, denen man die Zähne gezogen und deren Lehren man für systemerhaltende und -stützende Zwecke umfunktionieren konnte, tut sich die dem Augenschein nach ausweglos totalisierte one world, die wir
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