Der Implex
alleine ausüben, kein einzelner Mensch vermag auch nur einen einzigen anderen ständig zu überwachen, alle müssen irgendwann schlafen, und niemandes Augen sind überall. Macht existiert deshalb nur in Gefolgschaftszusammenhängen, also abhängig von Eliten, deren Elemente sich, soweit das rekonstruiert werden kann, auf niedrigen Entwicklungsstufen aus dem familiären oder erweiterten Stammesbestand, auf höheren dann aus einem überall da, wo es genug zu verteilen gibt, schnell gebildeten Pool nicht blutsverwandter, aber koalitionswilliger Leute rekrutieren lassen. Spätestens jetzt verschmiert die Unterscheidung zwischen Vorteilen, die auf Arbeit, und solchen, die auf Raub beruhen: Mögen die Frauen und Männer, die zur Macht gelangt sind, sich das auch mit der Erzeugung von lebensnotwendigen und anderen Gütern erarbeitet haben, für die Machtausübung einer Elite bedarf es jedenfalls doch anderer als produktiver Talente – sie ist selbst ein Beruf, durchaus verschieden vom Jagen, Sammeln, Ackerbau, Viehzucht. Wie jede zweckgerichtete Tätigkeit weist sie zwar Züge des geregelten Energie- und Informationsaustauschs mit der Natur auf, der die produktive Arbeit ausmacht, wie abgeleitet und vermittelt auch immer, bleibt aber dabei stets Arbeit mit Menschen, wesenhaft unnatürlich (wir gebrauchen das Wort nicht abwertend; was wir tun, wenn wir dieses Buch schreiben, ist noch viel unnatürlicher als der ärgste Machtgebrauch, der immerhin an Bioaltertümer wie die perennierenden Dominanz- und Unterwerfungsmuster aus dem Hordenerbe anschließt).
Macht kann ich ausüben, indem ich meine Mitmenschen belüge; der Natur dagegen werde ich nicht mehr oder Besseres entlocken, wenn ich ihr Unsinn erzähle.
Macht geht aus dynamischer Ungleichheit hervor und strebt statische an, das werfen ihr, sobald die ältere, die aufgeklärte, noch nicht marxistisch-sozialistische Gesellschaftslehre einmal formuliert ist, die moralisch Gestimmten unter ihren Entwicklerinnen und Entwicklern bald vor,
»for power embarks and confines the riches which otherwise would disperse and flow back in various channels to the community at large. Power enables the indolent and the useless not only to retain, but to add to their possessions, by taking from the industrious the natural reward of their labour, and applying it to their own use. It enables them to limit the profits and exact the services of the rest of the community, and to make such an unnatural separation between the enjoyment of a thing and the power of producing it, that where we see the one, we are habitually led to infer the privation of the other.« 1
Die Theorie, auf die diese Sorte Polemik sich stützt, sagt nichts vom reinen Raub; sie behauptet nirgends, daß Macht allein in der gewaltsamen Unterwerfung anderer, dem Erpressen von Arbeit, dem Diebstahl von Arbeitsprodukten besteht, sie ist keine Theorie von Herrschaft als bewaffneter Unterdrückung, wie sie von Eugen Dühring formuliert und von Friedrich Engels schlagend kritisiert wurde.
Der bürgerliche Gedanke, auch da, wo er, mit Feueratem vom Furor Rousseaus, das Vorgefundene verurteilt, legt Wert darauf, daß noch die roheste Herrschaft ihren Bestand nicht allein aus der Ungleichmäßigkeit der Waffen, sondern im Arbeitsprozeß selbst hat, oder wie der Text sagt, aus dem wir zitieren: in der »prodigious accumulation« des »larger share«, den »dilligence, active exertion, and superior talent« 2 frühen Produzenten verschafft haben mag, des Zusammenspiels also von Reichtum und sozialem Einfluß über den Punkt hinaus, an dem Reichtum einfach irgendwo herumliegt oder sprudelt, als Quellwasser, Beeren oder dummes Tier ohne Freßfeind am neusten Lagerplatz der vagabundierenden Menschenhorde.
II.
Aufklärung übers Soziale: in Deutschland unbekannt
Der Unterschied zwischen Lehren, die sich von Marx und Engels haben beeindrucken lassen, und solchen, die das verschmähen, wird normalerweise da festgemacht, wo Soziologen Engels gegen Dühring noch folgen können: Marxismus in allen, auch strukturalistischen oder poststrukturalistischen Varianten, Paramarxismus, Neomarxismus, sollen dann Ansichten heißen, die darauf abheben, daß die soziale Ungleichheit überhaupt irgendeinem Arbeitsprozeß statt der Schlägerei oder dem Schlachtfeld entspringt. Wieder möchten wir dagegenhalten, daß schon in der Proto-Aufklärung, im Umfeld der allerersten bürgerlichen und pro-bürgerlichen Emanzipationsversuche, dergleichen zu
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