Der Implex
bewohnen, mit den inspirierten Fiktionen und den irreduzibel weltverändernden Taten schwerer, und wer gar den Traum vom anderen, richtigen Leben und die tätige Umwälzung des vorhandenen, falschen zusammendenken will, sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, die große bürgerliche Synthese aus Erkenntniszugewinn und Erzeugungsmanagement, den wissenschaftlichen Kapitalismus, durch etwas ersetzen zu wollen, das dann ja wohl nur »wissenschaftlicher Sozialismus« heißen könnte – ist das nicht versucht worden? War das keine Katastrophe? Hungertote, Gulag, Weltbürgerkrieg – sind wir nicht froh, daß wir das hinter uns haben?
Was die Besiegten wollten, lebt nach ihnen fort, in klügeren, aber auch in dümmeren, in erfreulicheren wie in häßlicheren Formen.
Die Hartnäckigkeit der Vorstellung von einer anderen Welt, in der alles besser wäre, geträumt von Sklaven auf antiken Großbaustellen wie von Erwerbslosen im Internetcafé, ist das der Gegenaufklärung und ihren Erben Widrigste. Dagegen, daß daraus noch einmal eine neue Zeit entspringen könnte, richtet sich schon die Polemik der Edmund Burke und Joseph de Maîstre wider die Französische Revolution, dagegen beschwört Donoso Cortes die autoritäre Führerdiktatur, dagegen loben Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises den naturwüchsigen, selbstregulierten, vor revolutionärer Destruktivität und planender Vergewaltigung zu schützenden Markt als Quell aller sozialen Legitimität, dagegen verwirft Carl Schmitt den Positivismus des universalistischen, schriftlich fixierten Rechts zugunsten des Gewaltprinzips eines keiner diesseitigen Kontrolle rechenschaftspflichtigen Souveräns. Was diese Autoren hassen, bekämpfen, beseitigt wissen wollen, soll unser Buch erläutern, loben und propagieren: die intellektuelle, politische und soziale Fortschreibung der Aufklärung über ihre diskreditierten, erodierten, historisch aufzuhebenden Voraussetzungen hinaus – den sozialen Fortschritt, nichts Bescheideneres.
ZWEI
FEINDSCHAFT BEI DER ARBEIT
I.
Arbeit schlägt Raub (Raub schlägt zurück)
Die Ungleichheit des Lebensgenusses bei verschiedenen Menschengruppen ist nicht unerklärlich. Eine ältere Theorie nennt zwei mögliche Ursachen dafür, einen unehrenhaften, den Raub, und einen ehrenhaften, die Arbeit (die Theorie kommt aus England, sie führt den zweiten Grund als industry). Liegt die Ungleichheit am Raub, dann nimmt sich jemand etwas, das anderen zusteht, liegt sie an der Arbeit, so beruht sie auf Verdienst oder Ungenügen.
Der erste Fall interessiert an und für sich zunächst nur die Kriminologie, der zweite die Gesellschaftslehre, sobald es eine gibt. Wenn sie nicht übertrieben naiv tut, erkennt sie allerdings schnell, daß die meisten tatsächlich im Geschichtsverlauf vorgekommenen Ausprägungen jener Ungleichheit aus schwer zu klassifizierenden Mischzuständen hervorgegangen sind, in denen beide Ungleichheitsursachen auf unterschiedlichen genealogisch erfaßbaren Ebenen ineinanderwirken.
Im gemeinsamen imaginären Ursprung aller Geschichten, die je darüber erzählt wurden und werden, nutzen Menschen üblicherweise zunächst gewisse Glücksgeschenke des Terrains, der individuellen Begabung, wirksamen Anstrengung und erworbenen Geschicklichkeit, um sich die Reichtümer der Natur anzueignen. Diese Gelegenheiten sind, weil die Genetik und die Erdoberfläche es am Start nicht mit allen gleich gut meinen können, selbst bereits ungleich verteilt, und so eignen sich einige wenige Leute im Ausbau von Anfangsvorteilen später nicht nur Naturreichtümer, sondern auch diejenigen Früchte der individuellen Begabung, wirksamen Anstrengung und erworbenen Geschicklichkeit ihrer Mitmenschen an, die diese nicht direkt zum Verzehr, das heißt zur Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft benötigen. Das alles klingt für viele heute nach Marxismus, ist aber noch nichts dergleichen, sondern ganz gewöhnliche, aufgeklärte, schottisch-britische und französische Sozialtheorie, erfunden von unsentimentalen und von Gracchengelüsten freien Citoyens, Citizens, Philosophes, Scientists.
Auch der Gedanke, daß die Verfügung über das vom Gemeinwesen erwirtschaftete Mehrprodukt sich im sozialen Leben als Macht äußert, ist keine exklusive Doktrin des Sozialismus oder gar Anarchismus. Macht, sobald man ein geschöntes, nicht erst im Absolutismus aus durchsichtigen Gründen gemaltes Königsbild überwunden hat, dem nie irgendeine Wirklichkeit entsprach, kann man nicht
Weitere Kostenlose Bücher