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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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nirgends« war fürs erwachende Gestaltungsbewußtsein einer Klasse, die eben erst zu sich kam und lernte, wie man Geschichte macht – Bacons Schüler sagten bald recht schön, wozu ihr Meister sie inspiriert hatte: die Neuzeit sei die Antike einer großen Zukunft –, allerdings bald zu quietistisch; statt »Das geschieht nirgends« wurde daher bald behauptet: »Das wird geschehen«; der neue Möglichkeitsfluchtpunkt für Untersuchungen von Wünschen, Hoffnungen, Befürchtungen zog neue Konstellationen des Sichausmalens des Niegewesenen zu sich ins Nochnichtseiende: Francis Cheynell baute seinen Aulicus: His Dream of the King’s Second Coming to London 1644 noch nach heilsgeschichtlicher Blaupause, Jacques Guttins Epigone, Histoire du siècle futur von 1695 aber dachte bereits in stark säkularen Kategorien über die Zukunft unter den »clodovistischen« Königen Frankreichs nach und wurde damit Quelle für Hochaufklärungswerke wie Telliamed von 1748, Benoît de Maillets weitgespannte Evolutionsgeschichte über das Auftauchen des Menschen aus dem Meer, das zurückweicht, während das handelnde und spekulative Geschöpf, das es gebar, zu den Sternen reist, oder Louis Sébastien Merciers L’an 2440   –   Rêve s’il en fut jamais von 1771, das ein Frankreich vorstellt, in dem nach Aufklärungsprinzipien regiert und hochtechnisiert gelebt wird, samt interkontinentaler Luftschiffahrt – eines der ersten utopischen Werke, die in Amerika in englischer Übersetzung gelesen wurden, es erschien in der tatsächlichen neuen Welt schon ein Jahr nach der europäischen Erstveröffentlichung, und Mercier, ein kluger Vorfahr Vernes und Wells’, erlangte mit Vorhersagen gerade auch technischer Gadgets wie etwa der Kommunikation zwischen Erde und Mond mittels einer Vorrichtung, die an die spätere Lasertechnik erinnert, verdiente Aufmerksamkeit und Beliebtheit.
     
    Die technischen, szientifiktionalen, begrifflichen, also nicht nur deskriptiven oder abenteuerlichen Voyages imaginaires luden schließlich auf der literarischen wie der darstellenden Kunst bisher bestenfalls als Nebenlustquelle erlaubte Weise zum Vergleich zwischen dem Wirklichen und dem (eben nicht nur Denkbaren, sondern) Machbaren ein; am Anfang hatte man diesen Vergleich noch rein kritisch, also meist satirisch aufgefaßt (die Kinderkrankheit alles Revolutionären ist das Sichverbeißen in die Kritik am Bestehenden), unverlierbare Höhepunkte dieser frühen Formen waren Swifts Gulliver’s Travels (1726) und die Contes philosophiques und außergewöhnlichen voyages Voltaires (eines Autors, den man, wenn man die Behauptung aufrechterhalten will, in der Aufklärung sei es primär um die Durchsetzung einer im pejorativen Wortsinn prosaischen Art des Empfindens, Denkens und Lebens gegangen, jedenfalls nicht gelesen haben darf; wer in einem Buch wie Micromégas einen fünf Kilometer hohen Außerirdischen vom Sirius und seinen besten Freund vom Saturn feiert, die über die Ideen der Descartes, Malebranche, Leibniz und Locke diskutieren, ist alles, nur kein Nüchternheitsasket). Diese Texte, wie auch Ludvig Holbergs Expeditionen ins Erdinnere und manch anderes, Vergessenes, bieten schon alle Gußformen der heutigen unwirklichen Genrekünste; vor allem aber belegen sie, daß die Gefahr der Verkümmerung des Möglichkeitssinns durch die Welt, die Bacon kommen sah und die Aufklärung zu sich bringen wollte, nur an die Wand gemalt werden kann, wo man die Spannung vergißt, unter der das bürgerliche Bewußtsein steht, wenn es sich etwas ausdenken soll – die Spannung nämlich zwischen Positivismus und Innovation, aus deren Zusammenbruch dann Legenden entstehen wie die vom Chef des amerikanischen Patentamtes Charles Duell, der dem Kongreß vorgetragen haben soll, die weitere Förderung des Erfinderwesens sei nicht rätlich, da nunmehr alles erfunden sei, was sich erfinden ließe – in Wahrheit hat der empirisch wirkliche Duell in seiner Adresse ans Parlament von 1899 nichts dergleichen Unsinniges vorgetragen, wenn er auch ähnlich wie manche Physiker der Epoche anklingen ließ, es sei vorstellbar, daß man in absehbarer Zeit dahin gelange, die Verbesserbarkeit des Menschenlebens und -wissens auszuschöpfen. Von Fantastika wurde und wird ähnliches immer wieder behauptet; John Clute erzählt seit einigen Jahren, »first science-fiction«, die Geschichte vom Aufbruch ins Unerwartete, sei zuende erzählt, an ihre Stelle trete inzwischen eine Zukunftsphantasie zweiter

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