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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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gilt allerdings nicht nur »im« Subjekt, also fürs innerpsychisch Zugerechnete, sondern auch für mediale Erfahrungsweisen, zum Beispiel den Umgang mit von elektronischen Netzen verbreiteten, in ihnen sortierten Daten: Man surft, man bewegt sich im Internet, man besucht eine Seite – in Wirklichkeit bleibt man ganz brav sitzen (oder stehen), erfährt aber Weltfenster, Welttüren, modale Durchquerungen.
    Verantwortlich für die Schwierigkeit, das Funktionieren von Fantastika als modales Schleusensystem im Kontrafaktischen, in sich aber gleichwohl als kohärent Vorgestellten anders als paradox zu fassen (zum Beispiel mit den Worten von Donald Davidson, der lehrt, Voraussetzung für die Bildung der in Fantastika unerläßlichen Metaphern sei, daß es so etwas wie eine genuin metaphorische Bedeutungsebene gar nicht gebe, oder mit den Worten von Peter Hacks, Metaphern bedeuteten nie nur anderes, sondern immer auch ein wenig sich selbst), ist die Neigung des dieses Schleusensystem analysierenden bürgerlichen Bewußtseins, die Verzeitlichung als von solchen Verräumlichungen unablösbares Komplement derselben zu vernachlässigen. Aber schon die Utopien sind auch Uchronien, alternative Welten sind alternative Geschichten: Supernatural Horror (Lovecraft) ist, wenn von einem Zustand erzählt wird, der alles beendet, worin ich mich je zuhause gefühlt habe; Fantasy ist, wenn von einem Zustand berichtet wird, wie er nie gewesen ist und nie sein wird, Science-fiction ist, wenn von einem Zustand berichtet wird, der aus dem gegenwärtigen hervorgehen könnte nach den Regeln von Transformationen, die sich im Vokabular der exakten Wissenschaften (oder, erweitert und verallgemeinert, irgendeiner Spielart des Positivismus, oder, noch weiter verallgemeinert: der Aufklärung) formulieren lassen.
    Der Name für dieses Widerspiel von Raum und Zeit, für Dilatation und Stauchung, für alle dabei angewandten Traumtechniken, sollte am besten der sein, der die älteste Art des Verkürzens von Schlußketten, der Zeichenumfriedung des unmarked space benennt: Magie.
VI.
Magicks und Klares Bewußtsein
    Magie, die der einflußreichste Okkultist des letzten Jahrhunderts, Aleister Crowley, Magicks schreiben wollte, weil er eine Wissenschaft darin sah (der Name spielt auf Newtons Opticks an), bedeutet in der unwirklichen Kunst niemals nur Wunscherfüllung.
    Adorno hat in der Ästhetischen Theorie versucht, emphatisch moderne Kunst auch da, wo sie Unwirkliches darstellt, streng von der Phantastik zu sondern, und dabei etwas richtig gespürt – Kafka ist wirklich etwas anderes als Poe. Gleichwohl hat er sich geirrt, als er daraus eine Teleologie machte, eine Fortschrittskurve, auf der Kafka weiter geht als Poe und für die Kunst immer mehr gelten soll, was in den Minima Moralia steht – Kunst sei Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein. In Wirklichkeit liegt der Fall komplizierter, und eigenartig bleibt, daß auch Adorno, wie allen Leuten, die über Fortschritt schreiben und denen er das oft genug vorgeworfen hat, im progressistischen Zungenschlag sofort die Dialektik verlorengeht, auf die es hier ankäme.
    Seit der Surrealismus bei seiner Variante einer Abschaffung der Kunst als Ideologiefließband gescheitert ist, nämlich zu großen Erfolg hatte, weil seine anti-ideologische Wirklichkeitszersetzung zur Ideologie der Seltsamkeit der Warenwelt und zum Fertigbestand der Werbung wurde, darf Magie sich in den unwirklichen Künsten, wenn sie noch Kraft haben wollen, nicht mehr freudianisch oder metaphysikkritisch gegen die normale Erfahrung kehren. Das unverbindliche »als ob« aus der vorgeschichtlichen Traumzeit ist ihr Gegenteil.
     
    Die Magie, von der die beste neue unwirkliche Kunst (und zwar die abgelegene wie die populäre) erzählt, die trotz ihrer häufigen Rückgriffe auf den früh- bis vormodernen Fundus alter unwirklicher Kunst moderner ist als der Surrealismus, präsentiert sich als eine der wiederauferstandenen Lüge, nämlich der wiederum kunstfähig gewordenen Wahrheit der alten, toten Lüge, die sie über sich selbst nicht hat wissen wollen. Diese neue populäre unwirkliche Kunst der phantastischen Genres hat eine Erfahrung in sich aufgenommen, die Adorno noch nicht gemacht hatte und die man voreilig »Postmoderne« genannt hat. Als das »Zergehen der großen Erzählungen«, nämlich der sogenannten Weltanschauungen, das heißt der praktisch-ontologischen Systeme der alten, von Leuten wie Adorno, Edmund Wilson oder Clement

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