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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Ordnung, die weiß, daß zur zukünftigen Welt auch wieder Zukunftsphantasien gehören werden und daß diese zukünftige Welt den gegenwärtigen und vergangenen Zukunftsphantasien viel verdankt – aber das ist, wenn es nicht mehr heißen soll, als daß Genres zur Selbstvergeschichtlichung neigen, eine aufgebrezelte Plattheit, und wenn es mehr heißen soll, einfach falsch: Nichts wurde und wird wirksam und für immer verdrängt und vergessen, wo die Vorstellungen vom Unwirklichen (also etwa Zukünftigen) einer Zivilisation verraten, daß diese auch eine Vorstellung von Geschichte hat; die Rede vom Tod des Erfindens, Forschens, Phantasierens ist nicht mehr eine Art schaler Trost für Leute, die mit der Erschütterung ringen, die es mit sich bringt zu begreifen, daß man im Abendland beim Wahr- und Wachträumen seit spätestens 1660 von der Verpflichtung entbunden ist, den Schöpfungen des Mythos und den Versprechen der Religion Leben einzuhauchen, sie zu plausibilisieren – hier wohnt die Wahrheit hinter Adornos Satz, Kunst sei Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein.
     
    Befreit von der Lüge, befreit vom Vorwand »Das passiert nirgends« zur Feststellung: »Das könnten wir machen«, dem blochischen, zweiten Sinn des Wortes Utopie also – man vergesse nie, daß zu den drei Quellen, die Engels dem Werk von Marx im Rückblick als vorauszusetzende Möglichkeitsbedingungen abgelauscht hat, neben der englischen Wirtschaftsaufklärung und der deutschen spekulativen Philosophie auch die französischen utopischen Sozialisten gehören, Saint-Simons und Fouriers Science-fiction also. Es wäre wohl falsch (auch wenn es gerade von Lehrerinnen und Lehrern des dialektischen und historischen Materialismus immer wieder behauptet wurde) zu erklären, dieses spekulative Stadium des Sozialismus sei eine Angelegenheit allein der evolutionären Diachronie, es werde mit Notwendigkeit überwunden und stehe nicht in produktiver, sondern in reine Abschaffungsarbeit erfordernder Relation zum wissenschaftlichen. In dieser These äußert sich ein verschämtes und verklemmtes Verhältnis zu Modalität, Normativität, Deontik und sie alle bündelnder Programmatik, das die ganze Arbeiterbewegung inklusive manches Sowjetische entstellt; in Wahrheit bleibt der phantastische Impuls und Modus (ebenso wie der englisch rechnende und der deutsch spekulierende) auf jeweils höherer, selbstreflektierter Stufe dem lebendigen Sozialismus unverzichtbar – was sich im späten 20. Jahrhundert als eine der wenigen erfreulichen Folgen der jüngsten Niederlagen immerhin wieder herumzusprechen begann: Gelehrte marxistischer Schule wie Frederic Jameson widmen dem Verlangen namens Utopie kundige Abhandlungen, Künstler wie der britische Trotzkist und Science-Fantasy-Autor China Miéville oder Jamesons Schüler Kim Stanley Robinson nehmen SF als modales Fenster in berechnete Raumzeiten ernst, mal pessimistisch, mal optimistisch, mal als Verzahnung progressiver mit reaktionären Dynamiken, aus denen sich ergibt, was Zukunft heißen könnte – der Spagat wird anstrengender, aber auch wichtiger; leider hat man den Eindruck, daß Sozialistinnen seit Marx für dergleichen immer erst empfänglich werden, wenn man ihnen die praktischen und operativen Optionen aus der Hand schlägt. Dabei findet man bei nichtmarxistischen Linken, etwa dem alten Fabier H.G. Wells, zahlreiche politische Stellungnahmen, Analysen und Gleichnisse, die Marx und Engels sicher besser gefallen hätten als die weit überwiegende Mehrzahl der Prophezeiungen, Propositionen und Propagandabehauptungen des marxistischen Schrifttums. (Ein anekdotischer Schlenker mag verdeutlichen, was wir meinen: Als wir einmal in aufrichtig interessierter Runde in die Verlegenheit kamen, erklären zu sollen, was aus der Sicht emanzipatorischer Hoffnungen auf die Wirklichkeit menschlicher Freiheit eigentlich gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen oder Existenzgeld spricht – gar nicht so viel, aber doch nicht Unwichtiges nämlich –, hatten wir zunächst unsere liebe Mühe, bei den Betreffenden mit der Arbeitswertlehre zu hantieren, die man uns, einer in dieser Runde vorherrschenden Sympathie für Marx geschuldet, als Grundlage der Debatte aufzwingen wollte; sofort aber fanden wir Verständnis und nachdenkliche Gesichter, als wir das kluge Denkbild aus der Beggars in Spain -Romantrilogie der Science-fiction-Autorin Nancy Kress zu Hilfe nahmen, wonach in einer Zukunft, die durch nanotechnische und verwandte

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