Der Implex
Plattitüden der Caring Industry , diese Neuorientierung nur als Selbstverbesserung denken kann und nicht auch als Selbstverschlechterung, sollte die Profiler- und Kriminologenbinse zur Kenntnis nehmen, daß das, was für die Erleuchteten gilt, ganz ähnlich auch an Mörderinnen und Mördern beobachtet wurde: Die erste Tat führt zu einem grundsätzlichen Nichtmehrverstehenkönnen des Tötungsverbots, selbst wenn es fürs restliche Leben der Täterin oder des Täters beherzigt wird – der Wert, wird das meist ein bißchen hilflos abstrakt beschrieben, des menschlichen Lebens fällt ins Bodenlose, wenn man einmal jemanden getötet hat; vielleicht aber steckt gar nicht mehr dahinter als der plötzliche Verlust der Erwartung des eigenen Todes bei Überschreitung des Tötungsverbots, einer Erwartung, die als eine Art instinkthafter (in Wahrheit wohl zu einem durchschnittlich recht frühen Zeitpunkt der Entwicklung der Kinder von den meisten Gesellschaften in diesen verankerter) Glaube an die universelle Gültigkeit des Talionsprinzips den sozialkonventionellen Respekt vor dem Leben der andern absichert.
Ich habe dies getan und bin nicht vom Blitz getroffen worden – wie kann es sein, daß irgend jemand sonst sich noch daran hält? (Bei Leuten, die aus den Massenschlächtereien des Krieges heimkehren, nennt die Sozialethik diese negative Erleuchtung »Verrohung«.)
Das Innewerden des big deal gehört als etwas Befreiendes wie als etwas Niederschmetterndes im Bereich der Kunst wie viele vergleichbare abrupte Erkenntnisweisen zum proprium von Fantastika; John Clute und andere benutzen dafür den Toposnamen conceptual breakthrough. In der Science-fiction findet man dieses Moment als Kristallisationskern oder Drehpunkt nicht weniger Erzählhandlungen; in allerlei Simulationsgeschichten zum Beispiel, die davon handeln, daß irgendwer blitzartig genötigt wird, den wahren Charakter einer künstlichen Umwelt zu durchschauen, von Daniel F. Galouyes Simulacron-3 von 1964 über zahlreiche inferiore Nachahmungen bis hinunter zu den Matrix -Filmen; aber auch als Fabel von den Provinzwelten, deren Bevölkerung plötzlich ihre Einbettung in einen größeren kosmischen Kontext erkennt (das Templat für diese Variante stellt unerreicht The City and the Stars von Arthur C. Clarke, erschienen 1956); die tiefste Spielart ist wohl die rein binnenkognitive Selbstthematisierung des conceptual breakthrough in Werken wie Daniel Keyes’ Flowers for Algernon von 1959: Der Held ist ein Lernschwacher, dem wissenschaftliche Mittel eine ungeheure Intelligenzsteigerung bescheren, die ihn bald nicht nur seinen Ärzten und Lehrern entfremdet, denen er in allen Belangen, die sie interessieren, schließlich weit überlegen ist, sondern ihn auch früher als alle anderen Figuren der Erzählung erkennen läßt, daß sie nicht von Dauer sein, er den errafften Vorsprung also wieder verlieren muß – der arme Mann weiß schließlich nicht nur mehr über sich als die, die ihn verändert haben, sondern auch über sie und ihre Motive, und zerbricht an diesem Wissen ebenso wie an dessen Verlust.
In manchem erinnert der conceptual breakthrough augenscheinlich an Thomas Kuhns »Paradigmenwechsel«, den Kuhn als Metabeschreibung von etwas verstanden wissen will, das er »wissenschaftliche Revolutionen« nennt, also Dinge wie die Ablösung des geozentrischen Weltbilds durch das heliozentrische oder diejenige der Newtonschen und Galileischen Mechanik durch die Plancks, Einsteins, Schrödingers und Heisenbergs. Ein Begriffsschema, das einem anderen inkommensurabel ist, verdrängt dieses – daran, den neuzeitlichen social breakthrough aus dem Stehenden und Ständischen ins Offene, die Erleuchtung und den persönlichkeitsverändernden großen Gesetzesbruch mit der Kuhnschen Inkommensurabilitätsidee umstandslos zu identifizieren, hindern uns aber vier durchaus ernstzunehmende Dinge:
1. Die Wissenschaft, an der Kuhn sein Paradigma vom Paradigmenwechsel gebildet haben will, verfährt in Wahrheit anders. Die Aufhebung wissenschaftlicher Erklärungsmuster geschieht üblicher- und historisch verbürgterweise eben nicht über deren Unverständlichwerdung (à la: »Was haben wir/die denn uns/sich da eigentlich gedacht?«), sondern über den Doppelpaß einer neuen Erklärung des betreffenden Naturphänomens und der scheinbaren Geltung der jeweils abgelösten Theorie (»Es verhält sich in Wahrheit so und so, wir/die dachten aber, dies sei anders, weil … «),
Weitere Kostenlose Bücher