Der Implex
und zwar gar nicht allzu selten in der Weise, daß die abgelöste Theorie sogar weiterhin in eingeschränkter Geltung bleibt, nämlich als Sonder- und Grenzfall der neuen, deren Näherungen für irgendeinen mithilfe der neuen sehr präzise bestimmbar gewordenen Bereich korrekte (oder jedenfalls im pragmatischen Sinne hinreichende) Vorhersagen liefern (wieder sei an das Beispiel hie Fußball- und Raketenparabel, hie Merkurumlaufbahn erinnert; je und je sind die Effekte, welche die neuere Theorie erklärt, gar nicht auffindbar, und man kann es sich daher leisten, auch die sie erklärende Theorie zunächst weiterhin zu vernachlässigen).
2. Die eher romantische als epistemologisch durchdachte Theorie von einander grundsätzlich inkommmensurablen (und nicht etwa durch – prinzipiell immer mittels Übersetzung durchkreuzbare – Verständnisschranken getrennten) Begriffsschemata ist logisch gar nicht so leicht zu halten, ja sich inkonsistent, wie nicht nur Donald Davidson (in seinem grundlegenden Aufsatz »Was ist eigentlich ein Begriffsschema?« 145 ) überzeugend dargetan hat – der an einschlägigen Überlegungen Wittgensteins angelehnte Beweisgang läuft etwa wie folgt: Will man zeigen, daß zwei Begriffsschemata (was immer das eigentlich sein soll, als eine Art vor-, neben- oder nachsprachliches Auffassungsraster von kantischer Undurchschaubarkeit) nicht ineinander übersetzbar sind und damit die zwei Welten, die ihnen gegeben sind, auch nicht aufeinander abbildbar, dann muß man zunächst wissen, was die beiden, deren Weltbesitz man angeblich nicht aufeinander beziehen kann, da eigentlich für Welten haben, denn nur das, was man auch kennt, kann man logisch als verschieden empfinden; wenn ich das aber kann, beziehe ich mich damit auf ein drittes, mir offenbar zugängliches Begriffsschema, in dem diese beiden als so strikt getrennt wahrgenommen werden können; sobald ich dieses habe, sind sie aber eben nicht mehr unübersetzbar, sondern nur zu übersetzbar, im Medium des ominösen dritten nämlich.
3. Von den Begriffsschemata abgesehen, handeln diese ja immerhin von irgendwas, das es gibt, von Sachverhalten also, aus denen ihre angeblich so grundverschiedenen Welten letztlich so gut zusammengesetzt sind wie jede Welt, von der man reden kann. Die Voraussetzung dafür, daß eine wissenschaftliche Theorie einen Sachverhalt entdeckt und erklärt, den ihre Vorgängerin »nicht sehen« konnte, ist, daß es den betreffenden Sachverhalt tatsächlich gibt (Kopernikus konnte nicht herausfinden, daß die Welt aus singendem Käse ist, weil das nicht stimmt). Diese Kleinigkeit leugnet der Kuhnismus zwar nicht direkt, aber sie spielt in ihm, vorsichtig ausgedrückt, keine hervorstechende Rolle, weil sich zu ihr zu bekennen bedeuten würde, daß man außerdem zugäbe: Eine Theorie, die einen Sachverhalt ignoriert, den es gibt und der in ihren Erklärungsbereich fällt, ist einer anderen, die ihn sieht und deutet, nicht bloß inkommensurabel, sondern unterlegen, nämlich falsch. Der Horror eines bestimmten Zweigs auch der analytischen und postanalytischen (wie vorher gewisser strukturalistischer und poststrukturalistischer) Philosophie vor allen »Korrespondenztheorien der Wahrheit« rührt zwar von der in der Tat schwierigen bis unmöglichen Vergleichbarkeit von Sätzen einerseits und Tatsachen andererseits, man kann sich diese Beschwernis aber zumindest ein bißchen erleichtern, indem man sich wissenschaftliche Sätze schlicht (und erzpragmatisch; Dewey hätte sich gefreut) als Aussagen darüber merkt, wie man sich verhalten muß, um ganz ohne Wertung bestimmte gewünschte Ergebnisse zu erzielen. Wer, sagen wir einmal, zum Merkur fliegen will und die falsche Bahnberechnung anstellt, weil er oder sie nichts von Einstein weiß und nur etwas von Newton, verfehlt den Planeten, wer die richtige hinkriegt, erwischt ihn. Die Vergleichbarkeit zweier Theorien mit »der Welt«, deren exemplum immer wieder eindrucksvoll daran scheitert, daß Theorien keine den Meßgrößen in der Welt vergleichbaren Attribute haben und die Welt jedenfalls keine Theorie ist, macht sich direkt einfach gar nicht nötig, solange man die Möglichkeit hat, statt Sätzen mit Tatsachen lieber erfolgreiche von erfolglosen Handlungen zu unterscheiden (wozu freilich wieder Zweckbewußtsein erforderlich ist; ohne Technik wird man wissenschaftliches Denken nie begreifen), und sich nicht so dumm stellt, als wüßte man nicht, was eine theoriegeleitete Handlung
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