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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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etwas ausüben oder haben« –, und diesen Gebrauch ziehen wir einem, in dem Gewalt als ein Ding und zwar ein böses, das irgendwelchen Menschen innewohnt wie der berühmte, den Faschismus mythisierende Hitler in uns allen, allemal vor. So wollen wir denn das ebenso blasse wie heimtückische Hilfszeitwort »ist« in dem Satz »Gewalt ist eine Handlung oder eine Menge von Handlungen« gut nominalistisch verstanden wissen als »Wir gebrauchen das Wort Gewalt so, daß wir damit eine Handlung oder eine Menge von Handlungen bezeichnen«, und daß wir andere Gebrauchsweisen, die sich dann jeweils an ihren inferentiellen Prämissen, Lemmata und Konklusionen zu bewähren hätten, damit nicht ausschließen wollen, ja sie uns, falls andernorts das Dingschema zuschlägt und wir ihm Paroli bieten möchten, sogar selbst vorbehalten, sei ausdrücklich bekräftigt – der logisch-pragmatischen Schwierigkeit des Erweises solcher Bewährungen übrigens sind die meisten der verstiegeneren kategorialen Derivate des Gewaltbegriffs in der kurzen Geschichte der Sozialwissenschaften geschuldet, von der berühmten »verbalen« bis zur noch berühmteren »strukturellen« Gewalt. Der Versuch, Abstrakta mit Handlungen zu vermitteln, hat weit klügere Köpfe als unsere den Verstand gekostet – die Menschen haben eben weder die Schönheit noch die Gnade erfunden, aber benannt, und um die Verantwortung für beide drücken sie sich begrifflich weniger oft und weniger erfolgreich als um diejenige für die Gewalt, die sie ebenfalls nicht erfunden, aber benannt haben).
     
    Johannas Bild hängt schief. Aber politische Kunst ist nicht dazu da, Bilder geradezuhängen (dafür hat man Aufklärung), sondern dazu, welche zu finden, die an den Denkstörungen und Empfindungshemmungen vorbeiwirken, unter denen die Individuen abgestumpft, in die sie eingekerkert, denen sie ausgeliefert sind und die ihnen ihr Nichthandeln in der ungerechten Welt plausibel, ja alternativlos vorkommen lassen. Der Trick, den Brecht hier zünden läßt, ist ein doppelter:
     
    Erstens verspricht der Satz etwas dadurch, daß die, die ihn sagt, sich traut, die Gewalt überhaupt beim Namen zu nennen, und sie schon damit objektiviert (was nichts anderes besagt, als daß sie diese Gewalt der Diskussion zugänglich macht, die mögliche Verabredungspartner darüber führen könnten, wie man sie bricht und die von ihr gestützte Herrschaft stürzt) – sie spricht, als wäre sie dem Wirkungskreis der Gewalt bereits entzogen.
     
    Zweitens , und wichtiger, rückt der Satz formal der abstrakten Struktur hinter der Gewalt, dem Unrecht, auf den nur scheinbar unverwundbaren Leib – Unrecht ist ein asymmetrisches Verhältnis, Johannas Satz aber wiederholt das Wort »Gewalt« auf den beiden Seiten, die von den zwei Parteien in diesem Verhältnis eingenommen werden, und setzt so zunächst gedanklich – aber implizit ebendadurch: praktisch, die beiden Verben reden ja vom Tun, vom Helfen oder Herrschen – genau diejenige Symmetrie, auf deren Verhinderung es den Gewalthabern zuallererst ankommen muß.
     
III.
Stolze Widerrede und eroberte Symmetrie
    Zum ersten Punkt, der stolzen Widerrede : Die unmittelbarste, den Gewalthabern erwünschteste Folge der Gewaltanwendung (und, in deren Verlängerung, der durch sie plausibilisierten ferneren Gewaltandrohung) zur Herrschaftsstütze ist für diese unwichtiger als alle mittelbaren, weil sie jene zwingend impliziert; der geprügelte Einzelne steht, wenn es ihn trifft, zuverlässig für die andern, die sich fürchten sollen und nicht aufmucken – Beobachtungen auf jedem beliebigen Schulhof belegen leider hinreichend, daß das unfehlbar funktioniert: Wenn der Hoftyrann dem schwächsten Kind in der Menge das Handy klaut oder das Frühstück aus der Hand schlägt, ist ihm das Schweigen und Wegsehen der Umstehenden so gewiß wie Schmerz und Demütigung des Getroffenen. Dieses Schweigen und Wegsehen kann gesellschaftlich sehr sublime, geradezu erhabene Formen annehmen, etwa die idealistische Geschichtsauffassung, die besagt: Wenn irgendwo ein umzingelter und bedrängter Staat zusammenbricht, dessen Regierung im Namen einer Idee (Sozialismus, Islamismus, Zionismus) angetreten ist und diese durchsetzen wollte, dann ist damit nicht etwa ein empirischer Kampf zwischen ungleich starken Anwendern der Gewalt entschieden worden, sondern besagte Idee widerlegt – der Schulhof Welt wird damit gedanklich von Armeen und Geheimdiensten, von Folterzangen, Raketen,

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