Der Implex
definitionsgemäß ungerecht (ein gerechtes, das dieselbe Produktivität erreichen könnte, müßte »Kooperation«, »Allianz«, »Assoziation« heißen, erweitert und universalisiert zum gesamtgesellschaftlichen Prozeß dann »Sozialismus« oder »Kommunismus«). Ungerechtigkeit heißt, daß die Regel »Wie du mir, so ich dir« außer Kraft gesetzt ist; die eine Seite des Verhältnisses darf und soll sich mehr herausnehmen als die andere. Brechts bemerkenswerter, klar-unklarer, richtig-falscher Satz verspricht nicht allein das Ende dieses Zustands (»Wenn die uns hauen, hauen wir die auch«), er beschreibt vor allem eine Kampfform, die bereits das enthält, wofür doch eigentlich erst zu kämpfen ist, die Symmetrie. Wer sich wehrt, hat damit, suggeriert der Satz (und ist auch darin wieder kunstadäquat wahr-unwahr), das Unrecht bereits abgeschafft, da es nun mal zum Unrecht gehört, daß man sich dagegen nicht wehren soll.
Nach diesem Modell lassen sich leicht Bausätze denken, die an allen möglichen Fronten der ungerechten Vorteilsnahme, des Ausschlusses, der Willensbrechung das Urverbrechen der Symmetriebrechung ahnden und dem do ut des zur Geltung verhelfen; Diedrich Diederichsens Formel »Es hilft nur Identität, wo Identität herrscht« sagt zum Beispiel, daß man in rassistischen Kontexten négritude, black is beautiful und ähnliche Umwertungen hegemonialer Werte (»Bad means good in my language«, Grace Jones) setzen, behaupten, stärken und verteidigen sollte, weil identitäre Zuschreibungen seitens der Gewalthaber (die, wie wir im dritten Kapitel ausgeführt haben, immer mit einem Element der auch semantischen Willkür arbeiten müssen) das einseitige Vorrecht der symmetriebrechenden Gewalthaber sind und man demgegenüber selbst das Recht, und wichtiger: die Macht zu solchen (Selbst-)Zuschreibungen setzen, behaupten, stärken und verteidigen will. Die bei den mit dem Gegebenen sonst besonders Zufriedenen besonders verhaßte »politische Korrektheit«, die sexistisch oder sexuell, ökonomisch, rassistisch, kulturalistisch Geschurigelten Symbolrechte dieser Art zu verschaffen suchte (wo sie positiv besetzt noch vorkommt; das ist selten geworden, nicht nur aus schlechten Gründen, auch aus solchen, die zeigen, daß man an vielen dieser Fronten tatsächlich »weiter ist« als Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts), wird als Versuch von andernfalls Getretenen zu lesen sein, das Heft in die Hand zu bekommen, in dem die deontischen Punktestatus der Leute im symbolisch hochmedialisierten Gemeinwesen verzeichnet sind, nachdem der Universalplatzhalter der Unrechtsaufhebung, der Sozialismus, von der realen wie der symbolischen Landkarte verschwunden war (eine Auseinandersetzung also, die sich keine ernsthafte Linke in jenen neunziger Jahren hat ersparen dürfen). Auch Partikularismus in Dissidenz, Protest, Opposition gehört zu den Gewaltfolgen, die wir beschreiben wollen: Eine Linke, der es eben nicht darum geht, einzelne issues und Identitäten durchzusetzen (das oft genug »schlechte Besondere« Hegels), sondern darum, daß niemand, kein Mensch, ausgenutzt, ausgegrenzt, unterdrückt, mißhandelt, stumm gemacht oder gehalten werden soll, zerfällt im Moment des harten Gegenschlages in lauter mobile Module, auch um unter dem Gewaltakt ein bißchen wegzutauchen; plurale Wusels kann man schließlich weniger schnell töten als einen Elefanten.
Solche Schockergebnisse verdienen indes nicht, heiliggesprochen, unter Naturschutz gestellt oder als schlechtes Supplement der überlebtesten Universalismen ganz wie zuvor diese fetischisiert zu werden. Denn ohne Rücksicht darauf, wie es der Linken gerade geht, stellt sich die Frage nach dem Horizont Gesamtgesellschaft (in Wahrheit: eben nach allem, was nicht Natur, was über Verabredung veränderbar ist) unausweichlich auch beim partikularsten Kampf im Maße der dabei erzielten Erfolge, weil eben auch die Unterdrücker, Ausgrenzer, Ausbeuter, Gewalthaber, die Inhaber der vielberedeten »Definitionsmacht« ununterbrochen in größtmöglichen Zusammenhängen operieren, sie hervorbringen und von ihnen hervorgebracht werden (das Erfreulichste am Gequatsche von der Globalisierung und Theorierosinen wie denen von Negri und Hardt bleibt, daß dies in beiden aufscheint, daraus nicht zum Verschwinden gebracht werden kann); wer jemals versucht hat, Inseln herzustellen, die davon nichts mehr wissen müssen, weiß alles, was man darüber wissen wollen kann.
Ebensosehr
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