Der Implex
wie davor, dies zu übersehen, möchten wir aber davor warnen, das Problem selbst in einer weiteren Schraubendrehung erneut idealistisch fehlzuformulieren, nämlich als ein Ideenringen »Partikularismus versus Universalismus« – selbst die Unterscheidung »Idealismus gegen Materialismus« läßt sich idealistisch mißdeuten, nämlich überall da, wo daraus wieder die alte Geschichte von den miteinander kämpfenden Weltanschauungen gestrickt wird. Was ringt, sind Kollektive unterschiedlichster Größe, unterschiedlichster Macht, die nicht immer gern und Identität positiv besetzte beisammen sind, sondern weitaus öfter historisch und funktional (das griffigste Bild für so ein Kollektiv ist in unserem Begriffsrahmen, wie wir im zweiten Kapitel dargelegt haben, die Klassen sensu Marx und Engels). Die Frage »Partikularismus oder Universalismus« ist, vom Kopf auf die Füße gestellt, nichts anderes als die nach Organisationsformen (klein, groß, grassroots, basisbewegt, betroffenenorientiert, kaderartig, konspirativ, demokratisch, zentralistisch, minoritär, volksfrontartig, wohnortsbezogen, betrieblich – hier erst ergibt die Hackssche Bemerkung über Brechts »Gewerkschaftsstücke« zusammen mit der universellen Parole der Heiligen Johanna den Sinn, den beider Exegese in diesem Kapitel tragen soll: Gewerkschaft, das ist der Name für die verteufelt schwere Aufgabe, einen gesamtgesellschaftlich und universell gedachten Konflikt gleichwohl zunächst als partikularen organisieren zu müssen.
IV.
Hilft nur Organisation, wo Organisation herrscht?
Will man wissen, was »Organisation« im Spannungsfeld zwischen dem Partikularen und dem Universalen leistet (und überhaupt bedeutet), sollte man sich zunächst die Unterscheidung zwischen Organisation und Institution ansehen, die wiederum auf verwickelte Weise der im letzten Kapitel untersuchten zwischen Gesellschaft und Staat verwandt ist.
Die erste Grobannäherung ans Problem darf von dem Befund ausgehen, daß Organisationen in der Gesellschaft in beliebiger Menge und nahezu beliebiger Gestalt vorkommen können (von Kirchen bis Verbrecherbanden), Institutionen (wie Banken, Firmen, Schulen oder Schützenvereine) aber auch dann, wenn sie selbst nicht zum Staat gehören, ohne ein Minimum an staatlichen Bestandsgarantien keine sind. Wir wollen mit diesem Unterschied nicht auf Rebellenromantik hinaus: Daß »von oben« instituiert wird und »von unten« organisiert, ist nicht mal als Daumenregel besonders hilfreich; Arbeitgeberverbände sind organisiert, nicht ernannt, und intern nicht selten »demokratisch« – wie überall in diesem Buch kommt es uns vielmehr hier darauf an, daß die geometrisch-mengenbildnerisch-topologischen Vorstellungen, die man sich so macht, um menschliches Tun und Lassen, Hexis und Praxis zu beschreiben (irgend etwas ist »oben oder unten«, »Teil oder Ummantelung von etwas«, »größer oder kleiner als etwas«, »Breite oder Spitze«), einer voranalytischen Weltauffassung entnommen sind, in der soziale Strukturen dümmer noch als bei Dühring grundsätzlich nach territorialen und hierarchischen Bildern aufgeschlüsselt werden müssen, die nur irreführend sein können, wenn man sich aus der naturwüchsigen, von der Menschenevolutionsbiologie vorgegebenen territorialen (Hordengebietsgrenzen!) und hierarchischen Artung der Gemeinwesen gerade emanzipieren möchte – Implex ist demgemäß eine Kategorie, die lehren will, das Eingepackte als größer zu erkennen denn das Äußerliche. Wenn es zum Beispiel an Lenin von unserer Seite irgend etwas auszusetzen gibt, dann daß er bei seinen äußerst freimütigen und noch hundert Jahre nach ihrer ersten Niederschrift überaus instruktiven Untersuchungen der Organisationsfrage die geometrisch-mengentheoretisch-topologischen Vorstellungen der beschriebenen Beschaffenheit perpetuiert und auf ihre Kontamination mit Gewaltspuren aus dem Bekämpften nicht hingewiesen hat (um so wirksam dabei zu werden, wie Brecht das mit seinem formal abstrakten, also impliziten Hinweis geworden ist, hätte Lenin, da seine Texte keine Kunstwerke sind, an dieser Stelle explizit werden müssen – um aber auch nicht ungerecht gegen ihn zu sein: Die »Sklavensprache« einiger seiner vorrevolutionären Texte, nicht zuletzt taktisches Erfordernis ihrer Verbreitbarkeit auf den verschiedenen Publikationsebenen der zaristischen Zensurlandschaft, hat er selbst mehrfach einbekannt und später angemessen gewürdigt). Wie schon bei der
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