Der Implex
Luxemburg und Lenin bis zu anarchoiden Neo-Operaisten am Rand der Antiglobalisierungsbewegung kommt hauptsächlich aus der Erfahrung, daß es gesamtgesellschaftliche Aufgaben gibt, die ein im Klassengemeinwesen eingerichteter Staat niemals lösen will und wird und bei denen er auf nichtstaatliche Lösungsversuche mit Repression reagiert.
So wie nach Talleyrands Wort Hochverrat eine Frage des Datums ist und eine Verfassung nach marxistischer Lehre ein Waffenstillstandsdokument im Klassenkampf, bezeichnet das Wort »Nichtregierungsorganisation« den Versuch einer ökonomisch und militärisch schlecht- bis ungedeckten Gruppe, einen Nichtangriffspakt mit dem Staat abzuschließen, den dieser erfahrungsgemäß genau dann aufkündigt, wenn es interessant wird – linksradikalen Schmittianern, die es in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in großer Zahl gegeben haben soll, gefiel daher an der RAF ganz besonders, daß diese in ihren theoretischen Dokumenten und Kommandoerklärungen eine Weile lang wie der Staat redete. Mit Schernikaus Feststellung, Staatspolitik sei Militärpolitik, ist allerdings mehr und Komplexeres gemeint als die sprechende Knarre, nämlich daß Politik im Staat, Politik des Staates und Politik gegen den Staat allesamt Strategie und Taktik kennen, zwei Begriffe, mit denen dann in der auf die genannten Siebziger folgenden Winzigepoche der mitteleuropäischen Geistesgeschichte in allerlei Subversions- und Simulationstheorien viel Unbegründbares begründet wurde, weil man sie nicht gern in dem Kontext sah, in dem allein sie einen Sinn ergeben können:
Sie gehören als zwei Aspekte einer praktischen Angelegenheit zu einer anderen, theoretischen, die »Programm« heißt. Als Maschine im Sprachgebrauch unseres fünften Kapitels beschrieben: Das große Rad, das sich, weil es sehr groß ist, sehr langsam dreht, heißt Programm, es greift in ein kleineres namens Strategie und treibt so vermittelt das kleinste und schnellste an, die Taktik. Wilhelm Liebknechts berühmtes Kanzelwort, man müsse die Taktik in 24 Stunden ändern können, enthält, krempelt man es um, eine Definition: Taktik ist eben alles, was man in 24 Stunden ändern kann; Sachen, bei denen das nicht geht, sind strategischer oder programmatischer Natur – diese formale, gleichsam der von Marx aus der klassischen englischen Ökonomie geerbten und präzisierten Wertbestimmung nachgebildete Analyse der Sache, hat vor der inhaltlichen (das Programm sagt, was man erreichen will, die Strategie, wie man da hingelangt, die Taktik, was man tun muß, um auf diesem Weg voranzukommen) voraus, daß in ihr aufscheint, wie ein taktischer Mißgriff den Rhythmus des Ganzen durcheinanderbringen, die Zeitverhältnisse asynchron machen und damit sogar das Programm beschädigen kann. In der Realität kommt freilich die Problematik der ständigen Möglichkeit taktischer und strategischer Vorteile um den Preis einer Aufweichung der Sache hinzu, und nicht zuletzt das (nicht immer übrigens rationale) Kalkül des Gegners:
Staat und gesellschaftliche Macht erzeugen ungern Märtyrerinnen, viel lieber Verräterinnen; Bestechung ist also stets die Taktik der Wahl und das Angebot, den Druck zu vermindern, wenn nach allen Richtungen, die Strategie und Taktik opportun erscheinen lassen, wird immer offengehalten, sieht aber von Seiten der Gegenmacht wie eine Gelegenheit zu besonders klugem, besonders erfolgversprechendem Handeln aus, und so weiter.
V.
Werte, Tugenden, Taten
Was wir »Programm« nennen und wovon wir meinen, daß es auf Praxis angelegt sein sollte, nennt selbst der aufgeklärteste Bürger, der die Hexis mehr liebt als die Praxis, weil er seine Ruhe will und das Naturrecht ihm die garantieren soll, lieber »Werte« (die sich, einzeln aufgelistet, zu Programmpunkten verhalten wie Bewegungen zu Organisationen). Der französische Bürger zur Zeit der Revolution, der sich den Brissotins oder Montagnards, den Jacobins oder anderen Organisationen zurechnete, hielt besonders viel von den Tugenden und der Tugend; was das sei, damit ließen sich sozial- und geistesgeschichtliche Bände von niederschmetterndem Umfang füllen. Der deutsche Spießbürger (von dem gar nicht so sicher ist, ob es ihn noch gibt; vielleicht ist es langfristig der letzte Sinn alternativer und para-spontaneistischer Milieus, ihn zu konservieren, so wie es der Fluch der Sowjetunion und ihrer Bündnispartner war, den vorsintflutlichen Nationalitätendreck am Leben zu erhalten, der
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