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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Plattformen, die man in der eigentlichen Revolutionsperiode als Hybride zwischen Willensbildungsorganisationen und knospend neustaatlichen Institutionen ansehen kann, ähnlich den späteren Sowjets, wenn auch zahmer im Betreff der Machtfrage; der Konvent hatte mit ihnen jedenfalls nicht weniger Probleme als Kerenskis Duma mit dem Arbeiter- und Soldatenratswesen).
    Für oppositionelle, Dissidenz oder Protest operationalisierende Organisationen, die legal, aber keine Institutionen sind (und, was bei vielen der heutigen sogenannten NGOs die Pointe ist, von der man keineswegs begeistert sein muß, auch niemals welche werden wollen), bleibt die alles Operative überwölbende Schwierigkeit stets die: Wenn der jeweilige Mißstand oder die jeweilige Norm, die von so einer Organisation angegriffen oder anderweitig negiert wird, mit der gesellschaftlichen Macht oder der Staatsmacht (oder gar beiden) steht und fällt, dann besteht die fortwährende Gefahr, daß das Tauziehen, der Kampf, die Debatte für beendet erklärt wird, bevor die betreffende NGO gewinnen kann, nach Punkten (etwa als »moralischer Sieg« in der Öffentlichkeit) oder per Knockout (in Form von gesetzesförmigen Veränderungen). Jede Betriebsrätin weiß: Keine Firma bezahlt einem Mitarbeiter genug, daß er sich jemals Anwälte leisten könnte, die in der Lage wären, die Firma in seinem Auftrag erfolgreich zu verklagen; alles andere wäre betriebswirtschaftlicher Unsinn.
     
    Aus nichts anderem als diesem Wissen entspringt die tragende Idee der organisierten Solidarität: Die Gewerkschaft setzt dem Tatbestand sozusagen das Prinzip der Sammelklage entgegen. Die daraus folgende Abwandlung der Brechtschen Johannalosung muß somit lauten: Es hilft nur Organisation, wo Institution herrscht; was der Kunst nämlich gestattet ist – die erstrebte Symmetrie oder sonstige Formen von erstrebtem Recht, etwa identitäre, schon in die Kampfmittel hineinzunehmen (ein anderes als Brechts Beispiel wäre Christian Geisslers Leitmotiv »Wir sind nur das, was wir gegen sie tun« im Roman Kamalatta ) –, stellt in der Gefechtsplananalyse der Politik eine Rechenfehlerquelle dar, die sie sich nicht leisten kann.
     
    Daß es trotzdem ein Künstler war, nämlich der Dichter Ronald M. Schernikau, der in seinem Epos legende eine sehr herbe Zuspitzung des eben artikulierten Gedankens fand, verdient als Würdigung des sicheren Realitätssinnes dieses Autors besonders gewürdigt zu werden – »machen wir uns nichts vor: staatspolitik ist militärpolitik, kulturpolitik ist wirtschaftspolitik, bürgerinitiativen sind pipifax.« 186
    Alle explizit oppositionellen (also von Protest über Reformismus bis zur Systemüberwindung auf die Änderung des Bestehenden orientierten, das heißt nicht quasi-inneremigratorisch separatistischen) Organisationen versprechen allerdings denen, die sie unterstützen, ein je verhandelbares, nie aber ganz aufgegebenes Maß an Gegenstaatlichkeit, von Greenpeace bis zum evangelischen Friedenskreis, indem sie nämlich in ihrer Praxis ankündigen, sich um Aufgaben kümmern zu wollen, die der Staat nicht oder nicht zufriedenstellend erfüllt – dieser offensive Zug zur Machtfrage, den sie durch Propaganda und Satzungsfinessen ausbalancieren können, wenn die Klientel das wünscht (»Wir wollen gar keine Macht, wir wollen nur, daß die Umwelt besser geschützt wird«), steht einem defensiven zur Seite: Wenn das, was die Organisation will, das Interesse der Machthaber durchgreifend berührt und zu schädigen geeignet ist, kommt sie nicht umhin, jenen die Macht zum Allermindesten soweit aus den Händen zu winden, daß sie gehindert sind, die Organisation zu bekämpfen oder zu zerschlagen (in der Theorie macht sie das zur Protorevolutionärin; in der Realität indes kommen nicht einmal Gruppen, die wir oben »quasi-inneremigratorisch separatistisch« genannt haben und deren Wesen die Subkulturforschung mit dem Begriff »Dissidenz« gerecht zu werden bemüht ist, um die Pflicht herum, sich gegen diese Möglichkeit der Behinderung bis Auslöschung mit Instrumenten abzusichern, die den Namen »Politik« verdienen – selbst eine so dezidiert un-, ja antipolitische Gemeinde wie die Zeugen Jehovas läßt ihre Anwältinnen Verfassungsrecht büffeln und ihre Presseabteilung im Bedarfsfall Mitteilungen komponieren, die nach außerparlamentarischem Widerstand gegen das Abgeräumtwerden schmecken).
     
    Die linke Tradition des Antireformismus von Marx und Engels über

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