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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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darin verwendeten spezifischen Begriffs von »Entfremdung« ( alienation ). Eine Studentin deutet den Begriff streng marxistisch und soziologisch, ein Student widerspricht ihr und deutet ihn eher anthropologisch-phänomenologisch, eine andere Studentin behauptet, das Künstlerische (oder, wie sie sagt: »Kunstaffine«) an Charlesworths Begriffsverwendungsweise sei eben, daß soziologische und anthropologische Kategorien unauflöslich ineinandergeblendet würden. Eine ausführliche Diskussion mit den anderen in der Klasse und der Professorin ergibt, daß die beiden radikal einseitigen Lektüren in sich stimmig sind und den Text auf zwar je verschiedene, aber in beiden Fällen sehr ergiebige Weise erschließen, während die dritte Lesart, die in Kenntnis der beiden anderen ihre Synthese versucht, an mehreren wichtigen Punkten inkonsistent ist, sich leicht angreifen läßt und, wie die Verfasserin schließlich selbst einräumt, »einfach nicht funktioniert«. Die Klasse einigt sich verblüfft darauf, daß zwei einander ausschließende Interpretationen einem ästhetischen Gegenstand, selbst wenn dieser schon metaästhetisch konstituiert ist und eher Kunstgedanke als Gedankenkunst sein will, offenbar angemessener sind als eine versöhnende, inklusionistische, tolerante.
     
    Ein fünfundvierzigjähriger DJ und Plattenproduzent aus Moskau besucht für Plattenaufnahmen Berlin. Eines seiner neuen Stücke enthält ein leicht verfremdetes und angeschrägtes Sample aus Glenn Goulds Interpretation von Bachs französischer Ouvertüre (BWV 831), das einem Tontechniker, der eine akademische Klavierausbildung genossen hat, bekannt vorkommt. Der Russe klärt die Herkunft auf, woraus sich ein Gespräch zwischen ihm und dem Tontechniker über Gould entwickelt. Der Tontechniker erzählt die dem DJ unbekannte Anekdote von Goulds Begründung für dessen Abschied vom Konzertbetrieb: Man entwickle, so habe sich Gould beschwert, bei einem Gastspiel oder einer Tournee früher oder später Manierismen, kleine Spieleigenheiten, die das Publikum im schlimmsten Fall honoriere, wodurch man verführt werde, die jeweilige Stelle immer wieder genau so zu spielen, am Ende sei man nicht mehr als ein Automat, und das wollte Gould vermeiden. Der Russe findet das kurios, ihm, erklärt er, gehe es gerade umgekehrt: Er ärgere sich immer, daß er niemals zweimal denselben Set spielen könne, egal wie sehr es ihn reize, einen besonders schönen Abend noch einmal, vielleicht am selben Ort mit denselben Leuten, zu wiederholen, und wie sehr es ihn ärgere, daß das selbst bei eiserner Disziplin und sturstem Abspielen derselben Sachen in derselben Reihenfolge und denselben Geschwindigkeiten niemals gelinge – »ein Automat sein zu können, dieses Glück zu erleben«, sagt er mit absichtsvoll dick aufgetragener Wehmut, vielleicht nicht ohne Ironie, »das müßte doch wunderschön sein«.
     
    Eine französische Kunsthistorikerin besucht einen alten Pariser Studienkollegen, der freiberuflicher, aber an wenige Zeitschriften und Zeitungen per Gewohnheitsrecht gebundener Kunstkritiker geworden ist. In seiner Wohnung hängen nur Originale, bis auf einen einzelnen Druck – mit aufwendiger Technik hergestellt, auf teurem Papier – des von John Everett Millais 1851 vollendeten Gemäldes »Mariana«. Die beiden Fachleute unterhalten sich über die Präraffaeliten, die er mag, sie nicht, und es stellt sich heraus, daß sie mehr über diese Schule weiß als er. Als der Kunstkritiker mit der Anekdote aufwartet, man könne die Farbenfülle von Millais’ »Ophelia« selbst mit dem verfeinertsten Digitaldruck der Gegenwart – nach Auskunft eines Druckers, mit dem er darüber geredet habe – nicht in allen Einzelheiten farbecht wiedergeben, erzählt sie ihm einiges über die farbtechnischen Umwälzungen in der Malerei des neunzehnten Jahrhunderts, das er nicht wußte, über die Ablösung von Ölfarbblasen zunächst durch metallische Farbspritzen und schließlich die 1841 patentierten Farbtuben. »Sehr viel Technisches geschah damals«, sagt sie, »fast soviel wie heute, ich meine nicht malerische Technik, ich meine wirklich Apparate, Vorrichtungen.« Er fragt sie, ob es das sei, was sie an den Präraffaeliten nicht schätze, und sie präzisiert: »Nicht die Tricks und Hilfsmittel, nein. Aber sie haben sie verborgen, heute werden sie ausgestellt, betont, das gefällt mir besser.«
     
    Die Künste, sagt jede dieser Geschichten, bringen seltsame Maschinen hervor und werden

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