Der Implex
versucht, die ursprüngliche Akkumulation, die ihm so gut getan hat, unter Zeitvorzeichen, die ihm nicht günstig sind, zwanghaft zu wiederholen (kann man nicht die vielen kleinen digitalen Kleinproduzenten von ihrem Land oder Winzeigentum verjagen und proletarisieren, wie man das damals mit den Winzbauern oder Handwerkerlein getan hat? Der feuchte Traum übersieht, daß die digitale Boheme schon proletarisch auf die Welt gekommen ist und nie etwas anderes zu verkaufen hatte als Hirnarbeitskraft, in deren Produktion und Reproduktion inzwischen, nach allerlei Dumpingzyklen, weniger gesellschaftliche Arbeitszeit eingeht als früher in die Wiederherstellung der Muskelkraft von Fließbandmalochern).
Ja, das Wissen – der Datenzugriff und die Verarbeitungsgeschwindigkeit – von Leuten, die in den Netzen arbeiten, wird gegenüber dem vereinzelten Rumrödeln von anno dazumal ungeheuer beschleunigt, wie die Dampfmaschine die Muskelkraft der Arbeiter vervielfachte. So hört man jetzt Gewerkschaftsfunktionärinnen und solche, die das Zeug dazu hätten, welche zu werden, immer wieder klagen, wie solle man das alles überhaupt noch abrechnen, da kämen ganz neue Ausbeutungsformen auf uns zu, man dürfe das ja nicht als Tagelöhnerei sehen, die Leute nähmen doch Facharbeiteraufgaben auf sich – kein Grund zu verzagen: Wenn die Gewerkschaft sagt, das könne sie nicht rechnen, da ließen sich keine Forderungen mehr begründen, stellt sie sich dümmer, als selbst die Besitzenden erlauben, denn die können es offenbar ganz gut rechnen, sonst würden sie diese Arbeitsformen, die, wären sie wirklich unberechenbar, die lebenswichtigen Profitkalküle zerstören würden, nicht dulden und schnell verbieten lassen. Wenn das Kapital unter den veränderten Bedingungen Geld verdienen kann – und offenbar hofft, wie immer, wenn Schumpeter mit dem Innovationsgewinn winkt, mehr und schneller Geld verdienen zu können als unter den alten –, dann kann man auch den Kampf dafür aufnehmen, sie sollten ihre Kalküle offenlegen und ordentlich abrechnen, da hat sich gegenüber der Dampfmaschine formal überhaupt nichts verändert.
Offenlegung der Kalküle: Die A2K-Bewegung hat völlig recht, freier Zugang zu Informationen (und mehr noch: freier Zugang zu Rechtstiteln auf diese, wenn nicht deren Abschaffung, die dann derjenigen des Privateigentums an Produktionsmitteln insgesamt schon recht nahe käme) ist der Name des battle space , auf dem nicht die Verteilung, sondern die sehr viel wichtigere Produktion in den nächsten Jahren ausgefochten werden wird. Die Ware als Urzelle der kapitalistischen ökonomischen Ontologie ist zu eng geworden für eine Infowirtschaftsentwicklung, die infolge der einst konkurrenzkapitalistisch ausgelösten Verwissenschaftlichung der Erzeugung nicht nur die Handlungsoptionen, sondern auch die Probehandlungsoptionen unter Einschluß der ontologischen Kapazitäten des Menschengeschlechts gegenüber der Zeit etwa der Leibnizschen Monadologie gewaltig erweitert hat, weswegen etwa die Physik dank Leuten wie J.S. Bell, dem formalmathematischen Entdecker der Nichtlokalität des Quantenpropriums, außer Observablen inzwischen auch »denkbare Seinsgrößen«, in Analogie zu den observables also sogenannte be-ables kennt und allmählich auch die computables sowie lauter neue Relationen zwischen diesen. Unter den Sachen und Sachverhalten, welche Menschen fabrizieren, sind nicht die unwichtigsten diejenigen, die man »Bedeutungen« nennt – die Möglichkeiten, wann, wie und wo etwas für ein anderes stehen, es abkürzen, erklären, begründen, anstoßen, bedingen, verbieten kann. In dem Bezirk, der von diesen konstituiert wird, ist die Wissenschaft eben nicht als etwas aufgetreten, das entzaubert, vereindeutigt und verflacht, sondern als eine Herstellerin zahlreichster neuer Bedeutungen, die es darin mit der Philosophie leicht aufnehmen kann und nur von einem einzigen anderen menschlichen Tätigkeitsbereich übertroffen wird, dem wir uns daher im nächsten Kapitel, dem vorletzten vor Bündelung, Fazit und Ausblick, zuwenden wollen: den Künsten.
SIEBZEHN
SINNLICHE UNWIRKLICHKEIT
I.
Geschichten von Bedeutung
Eine junge Frau steht in einem Museum in Tel Aviv abseits ihrer Gruppe vor einem keineswegs besonders bemerkenswerten oder gar besonders guten Bild von Klee und weint, minutenlang, eine halbe Stunde lang. Die anderen aus ihrer Gruppe gehen scheu um sie herum, sprechen sie nicht an, lassen sich vom Gruppenleiter
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