Der Implex
führen, sie kommt sehr viel später nach, die Tränen trocknen auf ihrem Gesicht, sie hat sie nicht abgewischt und sieht glücklich aus.
Zwei deutsche Kunstschaffende, Mann und Frau, besuchen ein afrikanisches Land, um dort eine Serie von Fotografien aufzunehmen. Vor Plakatwänden mit bunten Collagen aus Material, das der Mode- und Werbewelt entnommen ist, posieren Einheimische; das grelle Sonnenlicht erzeugt Effekte, die man mit Photoshop nicht zustande brächte. Einmal beschwert sich ein Passant, man werde wieder einmal von den Europäern ausgebeutet. Aber alle, die an der Aktion teilnehmen, können sich am nächsten Tag, auch wenn es sonst kein Honorar gibt – das Künstlerpaar ist nicht reich und hat sich die Reise von Förderern unterstützen lassen –, einen Abzug des Bildes abholen, auf dem sie zu sehen sind.
Eine japanische Malerin von Ende Vierzig, die von sich selbst sagt: »Ich habe meine besten Zeiten am Kunstmarkt und bei der Kritik hinter mir, vielleicht loben und kaufen sie mich wieder, wenn ich tot bin«, schneidet in ihrem nicht hinreichend beheizten, etwas zu großen, aber nicht allzu teuren Studio in der Nähe von Tokio, auf dem Gelände einer aufgegebenen Fernsehgerätefabrik, mit dem Teppichmesser maltuchkaschierte Kartons zurecht, rührt Hasenleim für Grundierungen an und erzählt von einer Freundin, die jetzt mit zweiunddreißig Jahren ihr erstes Kind gekriegt hat. Das Kind ist blind zur Welt gekommen, die Mutter ist ebenfalls Künstlerin. »Das ist doch eine seltsame Geschichte«, sagt die Malerin und schneidet die Kartons schmaler,
»man hat ja als Frau immer Angst, die Galeristen sagen, nach dem ersten Kind ist die Kreativität kaputt, das ist auch so ein geheimer Grund, warum sie nicht gerne Frauensachen nehmen – und bei dieser Freundin ist es jetzt so, daß sie lauter neue Sachen macht, das Kind überallhin mitnimmt, und sogar uns andere, ihren ganzen Bekanntenkreis, inspiriert das – es klingt vielleicht gefühlskalt, aber ich denke seither ganz anders über Bilder nach. Was ist das, wenn man blind geboren ist? Menschen würden vielleicht sagen, wie schade, sie kann den Frühling nie sehen, die Kleine, sie kann nie ihrer Mutter ins Gesicht sehen, wenn jemand in der Stadt an ihr vorbeigeht, den sie kennt, wird sie es vielleicht nicht wissen – aber mich beschäftigt etwas ganz anderes: Sie wird den Unterschied nie kennen zwischen einem Bild und der Sache, die es abbildet. Sie wird nicht wissen, was das ist, malen. Das verunsichert meine ganze Idee von Kunst – es ist fast so, weißt du, daß dieses Kind meine eigene Kreativität mehr bedroht als die seiner Mutter.«
Ein erschreckend einfallsloser, sehr belesener und auffallend eitler Kulturbürokrat wohnt am Ende eines Krisenjahrs der Probe eines streng politischen, äußerst holzschnitzartig gearbeiteten Theaterstücks bei, das eben erst geschrieben wurde, in der ernsten Absicht, über die Lage des Landes zu reden. Er beschwert sich noch in der Kantine der Bühne, das sei ihm alles zu schwarzweiß, es gebe da ja gute und böse Figuren wie einst bei Schiller. »Ich bin ja gelernter Dialektiker«, blökt der Idiot. »Das ist doch alles viel widersprüchlicher, ich war mal mit einer Psychiaterin liiert, die auch meinte, es gebe suchtgefährdete und nicht suchtgefährdete Menschen, in Wirklichkeit aber gibt es diese klaren Positionen nicht, es ist alles Dialektik.« Auf den vorsichtigen Einwand einer Hegel-Leserin, Dialektik bedeute keineswegs, daß weder eine These noch eine Antithese existierten und die Welt ein undifferenziertes Ineinander chaotischer Nichtpositionen sei, sondern vielmehr das Gegenteil, erzählt der Idiot weitere irrelevante Einzelheiten aus seinem Intimleben und behauptet unter ständig zunehmender Erregung, ihm sei das ja eigentlich alles auch egal, das Stück sei schwach und belanglos, es kratze ihn nicht, seinetwegen könne das alles sein, wie es wolle, und auf dem Höhepunkt der immer gehetzteren, immer lauter werdenden Predigt faßt er diese schließlich damit zusammen, es lohne sich nicht, über dergleichen zu streiten, und sieht dabei aus, als müßte er gleich platzen.
Drei Studierende einer Künstlerklasse an einer süddeutschen Hochschule arbeiten zur Vorbereitung einer Gruppenausstellung an drei unterschiedlichen Deutungen des 1975 veröffentlichten, für die Entwicklung der Konzeptkunst nicht eben folgenlosen Textes A Declaration of Independence von Sarah Charlesworth und des
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