Der Implex
republikanisch und demokratisch verfaßte öffentliche Realität nichts anderes als der gleichmäßig gestreute, keinerlei Vorselektion erlaubende Zugang zu Qualifikationsmöglichkeiten, weil eine solche Erhebung keinerlei Information über den einzelnen Menschen liefert, der sich qualifizieren muß (für ganz Verrückte, die das nicht verstehen wollen: Angenommen, die Statistik zeigt, die meisten blauäugigen sind Idioten, und das auch noch aus genetischen Gründen, d.h., das Gen für blaue Augen ist überdurchschnittlich häufig mit klinischer Beklopptheit korreliert. Dann besteht aber, weil eben auch die dichteste Korrelation nur eine Korrelation ist, dummerweise die Möglichkeit, daß die eine Blauäugige, die durch zufällige Mutation nicht schwachsinnig ist, sondern genial, im Fall der Zulassung zum Biomedizinstudium das Heilmittel gegen Krebs entdeckt. Ein generelles Studienverbot für Blauäugige entzieht dem Gemeinwesen dann dieses Potential und sollte deshalb unterbleiben – es ist wie mit der Meinungsfreiheit: Da man nie sicher sein kann, daß irgendeine noch nicht gehörte Ansicht eventuell eine Sache trifft, die zu begreifen für alle von Vorteil wäre, ist Vorzensur abgeschafft).
IV.
Die Gesinnungen der toten Geschlechter
Von Paines beredt indigniertem Brief über Charles Fouriers berühmtes, von Engels, Luxemburg und Lenin zustimmend zitiertes Wort, man könne den Grad der Emanzipation des Menschen von jeder Art der Knechtschaft in allen Gesellschaften an der Stellung der Frauen ablesen, weiter über den sentimentalen säkularisierten Muttergottes-Kitsch der »wahren Sozialisten« Grün und Konsorten, die den deutschen Protokommunismus propagierten, aus dessen Ideengestrüpp sich die Begründer des Marxismus freikämpften, über die Sexualgesetzgebung der bolschewistischen Regierung unmittelbar nach der Oktoberrevolution und die Schriften der Alexandra Kollontai bis zur Neuen Linken und den in ihr und gegen sie entstandenen Feminismen zieht sich durch die Geschichte der bürgerlichen und antibürgerlichen Linken das Bewußtsein davon, daß der Geschlechterschauplatz von jeder Revolution erobert werden muß, die es abgesehen hat auf Gleichberechtigung aller, kollektive Organisation gesamtgesellschaftlicher Aufgaben und Stärkung der Individuen gegen das »Gewicht der toten Geschlechter« (Marx), also gegen die sich auf biologische, völkische, religiöse, trägheitstraditionale oder anders »waldursprüngliche« (Engels) Geltungsgründe berufende Herrschaft. Daß, wer Kinder kriegen kann, das auch soll und sein gesamtes übriges Schicksal entlang dieser Tatsache auszurichten hat, war als Unterdrückungsformel seit Humes Gesetz theoretisch erledigt; wir spachen davon (noch einmal für Uneinsichtige: Der menschliche Schädel hat innen eine Knochenhöhle, daraus folgt nicht, daß er nach dem Ableben des betreffenden Menschen zwangsläufig als Trinkgefäß für tapfere Kriegerinnen dienen muß).
Ärgerlicherweise sind theoretische Erledigungen sozialen Tatbeständen und denen, die sie einrichten, noch nie in der Geschichte auch nur lästig geworden. Bürger denken da allerdings genau umgekehrt, unter Politik verstehen sie das Umsetzen von Ideen, nicht das Durchsetzen von Interessen, ein im Grunde sympathischer Irrtum, der sich daraus erklärt, daß die Befreiung des Bürgertums von feudalen Fesseln propagandistisch als das Unternehmen dargestellt werden mußte, das gesellschaftliche Leben unter Vernunftbestimmungen zu stellen, das bislang nur unter Traditionsbestimmungen gestanden hatte, Haltung (und zwar demütige) in Planung zu verwandeln, aus Hexis Praxis zu machen, aus Untertanen und Herren freie (und das heißt: denkende und entscheidende) Subjekte. Taktisch gesehen war und ist es für einen Feminismus, der unter bürgerlichen Diskursbedingungen politische Erfolge erzielen will, daher das Klügste, aus der Weiblichkeit eine Art Gesinnung zu machen, um sie derart zu einem ernstzunehmenden Programm umzuwerten, da sie andernfalls für Privatkram gehalten (und entsprechend der privaten Sphäre inklusive der Autokratie des Privateigentums ausgeliefert) wird. Leute wie Paine und, wie wir gleich zeigen werden, auch Anna Laetitia Barbauld, die wir im vorigen Kapitel schon vorgestellt haben, sind diesem Weg gefolgt – bevor wir uns das aber genauer anschauen, empfiehlt es sich, einem mit viel Textaufwand zur geschichtsphilosophischen Theorie aufgedonnerten, in der jüngeren parasoziologischen Literatur
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