Der Implex
Barbaulds; auch solche Volten und Versteckspiele sind literaturgeschichtlich eine Errungenschaft vor allem der Aufklärung, ihr raffiniertester Praktiker war Pierre Bayle).
Der Naturwüchsigkeit mit Parteibildung und Ideenfechterei in die Parade fahren zu wollen, ist ein zutiefst unnatürliches Programm – erneut zeigt sich, daß die naturrechtliche Selbstdarstellung der Aufklärung wenig mehr war als ein fleischfarbenes Kostüm –, es ging nicht um Angeborenes, sondern um neue Künste, und das schon lange bevor die Aufklärung von sich wußte, daß sie eine war: Bereits die erste, für die ganze weitere Neuzeit debattenstilprägende Auseinandersetzung um embryonal Protofeministisches war eine erzliterarische, entsprungen aus der philologischen Gelehrsamkeit des Humanismus, die Querelle des Femmes, losgetreten von der Polemik einer Schriftstellerin, die subjektives Abscheuempfinden gegen die Selbstinszenierung männlicher Körperpanzer (deren Vorhandensein und Begriff erst sehr viel später die Psychoanalyse fand) 1399 in einem Brief an den Gott der Liebe artikulierte. Als allerfrüheste Vorfahrin Judith Butlers betrachtet sie das Realverhältnis der Geschlechterapartheid als ein praktisch-semantisches, um es so angreifen zu können wie die Humanisten die Religion auf dem Weg der Bibelkritik: Die Bücher, die uns sagen, wer wir sind, sagte jene Christine de Pizan, seien von Männern geschrieben und stellen das Verhältnis zwischen diesen Männern und Frauen nicht nur dar, sondern auch her. Schon in diesem frühen Stadium leidet der sozusagen proto-diskursanalytische Ansatz allerdings daran, daß er sich unter Umständen seine taktische Finte, die tatsächlichen Gründe der Unterdrückung mit den von den Unterdrückern dafür angegebenen Begründungen in eins zu setzen, selbst zu glauben anfängt und damit den Weg dahin versperrt, wo durch die Widersprüche jener Begründungen hindurch deren Aufbrechen zum Zweck des besseren Verständnisses der wirklichen sozialen Kräfteverhältnisse möglich würde. De Maistre und Burke sind nicht zur Stelle, als die Institutionen, die sie gegen die Französische Revolution verteidigen, geschaffen wurden, und dafür auch gar nicht nötig, und auch der Rassismus als Ideologie rechtfertigt die Landnahme- und sonstigen Kolonialverbrechen der Europäer erst, als diese schon im Gange sind. Der Grund (und eben nicht: die Begründung) für den Antisemitismus, schreibt Jan Philipp Reemtsma ganz richtig 29 , ist die Verfolgung der Juden, nicht umgekehrt. The evil that men do zeugt sich auch im Medium der Ideologie indes nicht als Erbsünde fort, sondern in ganz irdischen Kausalketten, die meist bloß maskierte Befehlsketten sind: Der geplante, organisierte, eben politische Mord erzeugt im Mörderkollektiv, schon während die propagandistischen und praktischen Fakten gesetzt werden, die ihn dann zwingend aussehen lassen, die berechtigte Furcht vor Rache; die innere Zwangsläufigkeit ist eine der Selbstnötigung, und wenn man dagegen nicht nur Taten des Widerstands, sondern auch Argumente der Ideologiekritik setzen will, muß man bescheiden anfangen: in den vom Blick a posteriori meist nicht mehr erkennbaren Lücken, die jede Befehlskette und jeder organisatorische Wortgebrauch eben hat, weil nichts so zwingend ist, wie diejenigen, die einen Zwang verhängen, meinen und meinen lassen. Dieses Lückenfinden in Hexis, Praxis, Theorie der Unterdrückung und Unterwerfung erfordert nicht nur Scharfsinn, sondern auch oft mehr Mut als der Bruch mit einem von solchen Nadelstichen hinreichend sturmreif gemachten Unrecht, aus dem ein Kollektiv dann heraustreten kann, als wäre es nie darin verstrickt gewesen – Textvarianten in der Bibelüberlieferung ausfindig zu machen, an Wortgebräuchen zu drehen, um falsche Vereindeutigungen lockerzuschütteln, wie dies die frühen humanistischen Philologen taten, kann eine riskantere Beschäftigung sein als die schrillste atheistische Schreierei dreihundert Jahre später; immanente Kritik an der richtigen Stelle ist für Lehr- und Ordnungsgebäude, die sich den Anschein dichter Festverfugtheit geben wollen, umgekehrt gefährlicher als die schwerste Häresie, und wenn de Pizan schreibt, sie wolle gar nicht bestreiten, daß die Frau dem Mann gut biblisch als »Gehilfin« übergeben worden sei, melde aber Zweifel an, ob intellektuell oder moralisch minderwertige Gehilfen wirklich in Gottes Sinn sein könnten, dann macht die Demut des Auftretens die Saat des
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